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Es wird ein harter Winter für Osteuropa

Von Branimir Jovanovic

Gastkommentare
Branimir Jovanovic ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und Hauptautor der Herbst-Konjunkturprognose für Osteuropa. Er ist spezialisiert auf die Volkswirtschaften der Westbalkanstaaten und war von 2017 bis 2019 Berater des Finanzministers von Nordmazedonien.
© wiiw / Violeta Ognenovska

Der Region steht wirtschaftlich das Schlimmste noch bevor, mit erheblichen Folgen für Österreich.


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Das Gift des Krieges wirkt schleichend - zumindest, was die Wirtschaft betrifft. Das zeigt sich derzeit in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas sehr anschaulich. Trotz dem verheerenden russischen Überfall auf die Ukraine haben sich die Volkswirtschaften der Region besser gehalten als zunächst angenommen. Ein über den Erwartungen liegendes Wachstum im ersten Halbjahr lässt die EU-Mitglieder in Osteuropa heuer im Schnitt um fast 4 Prozent wachsen. Gründe dafür waren die Erholung nach der Pandemie, zunächst noch steigende Einkommen sowie eine vorerst noch gute Nachfrage aus Deutschland.

All das dürfte sich in den nächsten Monaten dramatisch ändern. Der ökonomische Schock durch den Krieg schlägt im dritten Quartal bereits stark durch. Die aus dem Ruder laufende Inflation unterminiert die real verfügbaren Einkommen und damit den privaten Konsum als bisher wichtigste Stütze des Wachstums. Dazu gesellen sich die immer bedrohlichere Energiekrise, das Schwächeln der deutschen Wirtschaft, Leitzinserhöhungen und zu wenig Gegensteuern durch die nationalen Regierungen. Osteuropa steht also wirtschaftlich das Schlimmste noch bevor.

Wie schlimm es tatsächlich kommt, hängt vor allem davon ab, wie weit Wladimir Putin den Gashahn zudrehen wird. Sollte Gas im Winter mancherorts rationiert werden müssen, könnten einzelne Länder der Region in eine Rezession schlittern. Passiert das auch in Deutschland, wonach es derzeit aussieht, und stehen große Industriebetriebe wegen Energieengpässen still, würden durch die enge wirtschaftliche Verflechtung Tschechien, Ungarn, die Slowakei und Polen besonders leiden. Das wiederum hätte auch gravierende Auswirkungen auf Österreich, schließlich sind die vier Visegrád-Staaten zusammengenommen der nach Deutschland wichtigste Handelspartner.

Die Reduktion der Gaslieferungen aus Russland trifft Österreich mehrfach - eine Problematik, die ein völliger Lieferstopp noch verschärfen würde: direkt, weil die Abhängigkeit von russischem Gas in einigen Industriezweigen (Papier, Chemie) hoch ist; und indirekt, weil auch Deutschland und die vier genannten Visegrád-Staaten stark unter einem Lieferstopp leiden würden.

Doch wie stark trifft die Krise den Aggressor Russland angesichts der massiven westlichen Sanktionen gegen das Land? Bisher zeigte sich Russlands Wirtschaft zwar widerstandsfähiger als erwartet. So sinkt das BIP heuer um 3,5 Prozent und damit nur halb so stark wie noch im Sommer prognostiziert. Im nächsten Jahr werden sich aber die Folgen des EU-Ölembargos, die Ausfälle beim Gasexport nach Europa und das westliche Hochtechnologieembargo verstärkt bemerkbar machen. 2023 dürfte die russische Wirtschaft deshalb um weitere 3 Prozent schrumpfen und mittelfristig ohne jede Entwicklungsperspektive dastehen. Die jüngste Teilmobilmachung wird die Krise noch verschärfen, weil damit hunderttausende zum Teil gut ausgebildete junge Männer der Wirtschaft entzogen werden. Ökonomisch betrachtet wirken die notwendigen Sanktionen also, wenn auch langsamer als erwartet.