Der kosovarische Außenminister Hashim Thaci fordert Visafreiheit für die Bürger seines Landes.
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"Wiener Zeitung": Mit seinem Ansuchen, in die Unesco (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) aufgenommen zu werden, ist Kosovo diese Woche gescheitert. Serbien hat mit Erfolg dagegen lobbyiert. Welche Auswirkungen wird dies auf den Dialog zwischen Pristina und Belgrad haben, der unter Einbindung der EU läuft?Hashim Thaci: Serbien hat eine anti-europäische Kampagne gegen den Kosovo geführt, gegen unser gemeinsames kulturelles Erbe, gegen Erziehung und Kultur generell. Dabei hatte es die Gelegenheit, sich als zivilisiertes, pro-europäisches Land zu präsentieren. Somit ist Serbien der eigentliche Verlierer.
Was bedeutet das für den weiteren Dialog über die Normalisierung der nachbarschaftlichen Beziehungen?
Der muss fortgeführt werden. Wir werden die getroffenen Vereinbarungen umsetzen. Es gibt keinen anderen Weg, als die Gespräche weiterzuführen. Wir sollten uns nicht gegenseitig behindern. Das hat mit der Unesco nichts zu tun; die Themen sollten nicht miteinander verknüpft werden. Parallel dazu werden wir unsere Bemühungen um die Aufnahme in die UN-Organisation fortsetzen.
Es sind gleichzeitig Bemühungen um internationale Anerkennung. Hat die Regierung in Pristina dafür zu wenig getan? Sie unterhalten 24 Botschaften, doch sechs davon sind unbesetzt. Ist das nicht ein diplomatischer Fehler?
Es ist einfach, Zuschauer zu sein und zu kritisieren. Doch wir wollen mitspielen. Für unser Ansuchen um den Unesco-Beitritt haben wir intensiv geworben. Aber jeder Versuch ist auch ein Lernprozess. Beim nächsten Mal werden wir noch besser vorbereitet sein.
Sollte die EU aus den Ereignissen Schlüsse ziehen?
Wie sich Serbien verhalten hat, sollte für die EU ein Weckruf sein. Sie sollte endlich verstehen, dass Serbien nur gemeinsam mit dem Kosovo in die Union aufgenommen werden sollte. Der Beitritt muss zum selben Zeitpunkt erfolgen. Es gibt nämlich keine Anzeichen dafür, dass Belgrad seine Haltung uns gegenüber ändern wird. Und wenn Serbien auch nur eine Minute früher EU-Mitglied wird, wird es alles daransetzen, Kosovo auf seinem Weg in die Union zu blockieren.
Serbien ist aber schon Beitrittskandidat; noch in diesem Jahr könnte ein Datum für den Beginn von Verhandlungen mit Brüssel fixiert werden. Davon ist der Kosovo weit entfernt. Er hat noch nicht einmal alle Bedingungen für die Abschaffung der Visumpflicht erreicht. Und er bekommt noch immer regelmäßig Mahnungen von der EU-Kommission - beispielsweise die Korruption zu bekämpfen.
Für die Visafreiheit haben wir so gut wie alle Voraussetzungen erfüllt. Es fehlt beispielsweise noch ein Abkommen mit der Türkei über die Rückführung von Flüchtlingen. Das wird aber in den nächsten Tagen gelöst werden. Ja, wir stehen noch vor Herausforderungen: Wir müssen den Rechtsstaat stärken, Reformen mit größerem Elan umsetzen. Insofern zeichnet der aktuelle Fortschrittsbericht der EU-Kommission ein realistisches Bild und wir heißen ihn willkommen. Aber das sollte nicht den Prozess der Visaliberalisierung behindern. Es ist wichtig, die Bürger unseres Landes vom Gefühl der Isolation zu befreien.
In Westeuropa gibt es Befürchtungen, dass die Visafreiheit von manchen genutzt wird, um sich auf Jobsuche zu begeben oder einen Asylantrag zu stellen. Sagen Sie Ihren Bürgern, dass es nur um Reisefreiheit geht?
Ja, wir hatten eine Informationskampagne. Ich bin mir sicher, dass es den Menschen bewusst ist. Wir haben die Entwicklungen in der Region verfolgt, haben von den Erfahrungen der anderen Staaten im Prozess der Visaliberalisierung gelernt, haben gesehen, was getan und was nicht
getan werden sollte. Wir sind daher sogar besser vorbereitet, als es die anderen waren. Es wird keinen Exodus aus dem Kosovo geben.
Wie möchten Sie jene Menschen im Land halten, die keine Arbeit haben, die keine Perspektiven für sich und ihre Kinder sehen?
Die Arbeitslosenrate ist gesunken; sie liegt nun bei etwa 30 Prozent. Überhaupt gibt es Fortschritte im Kosovo, das kann niemand leugnen. Wir versuchen Investoren anzuziehen und Jobs zu schaffen, in der Industrie, im Bereich der Infrastruktur, im Bergbau, wo wir gerade Möglichkeiten der Ausbeutung untersuchen. Wir investieren in Bildung.
Machen Sie sich Sorgen, dass die Flüchtlingskrise und die Ankunft hunderttausender Menschen in Europa negative Auswirkungen auf die Bemühungen des Kosovo um die Abschaffung von Visa haben könnten?
Das sollte nicht miteinander verbunden werden. Kosovo liegt ja auch nicht auf der Flüchtlingsroute. Wir haben sogar angeboten, Schutzsuchende aufzunehmen, unseren Kapazitäten entsprechend. Denn wir selbst waren doch Flüchtlinge. Nun sind wir bereit, unseren Teil der Verantwortung für die Menschen zu übernehmen und Solidarität zu zeigen. Die Mitgliedstaaten der EU haben keinen Grund, das Thema mit der Visaliberalisierung zu verknüpfen und diese hinauszuzögern.
Der Kosovo ist sich manchmal selbst im Weg: Wochenlang hat die Opposition unter anderem mit Tränengasattacken das Parlament lahmgelegt. Wird sie nun zum Gespräch zurückfinden?
Ich hoffe schon. Dass die Opposition nicht für das Annäherungsabkommen mit der EU gestimmt hat, war eine Schande. Hoffentlich wird sie nun zumindest bei den Bemühungen um Visaliberalisierung fair und vernünftig sein. Falls nicht, wird sie sich selbst zerstören.
Zur Person
Hashim Thaci
ist seit dem Vorjahr Außenminister des Kosovo. Zuvor war er Premier, der erste seit der Unabhängigkeitserklärung des Landes im Jahr 2008. In den 1990er Jahren war Thaci ein Führungsmitglied der albanischen Befreiungsarmee des Kosovo, der UCK. Danach gründete er die Demokratische Partei des Kosovo.