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Es wird wieder in die Hände gespuckt

Von Alexander U. Mathé

Europaarchiv

Das Sozialmodell war bisher ein Tabu in Frankreich. | Der neue Präsident ist liberal, aber auch national eingestellt. | Arbeit, Arbeit, Arbeit: mehr, billiger, flexibler. Nicolas Sarkozy will die Hemdsärmel hochkrempeln und seinen Landsleuten Feuer unterm Hintern machen. Mit der Parole "Wer mehr arbeitet, verdient auch mehr" ist er zum Liebling der darniederliegenden französischen Wirtschaft avanciert. Aber auch innerhalb der EU verstärkt sich die Hoffnung, Sarkozys Politik werde die richtige Medizin für Europas kranken Mann sein.


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Der Wunsch nach einer Reform des Arbeitsmarktes kommt in Frankreich einem Tabubruch gleich. Kaum ein Politiker vor Sarkozy hatte sich getraut, hier einzugreifen, denn die Franzosen schienen an ihrem Sozialmodell zu hängen wie kaum ein anderes Volk. Wenn dann doch einer Reformen in Angriff nahm, sah er sich sofort mit Massenprotesten konfrontiert, so wie Sarkozys ehemaliger Konkurrent Dominique de Villepin.

Der Ex-Premierminister hatte versucht, einen Arbeitsvertrag durchzusetzen, der in Betrieben mit mehr als 20 Angestellten für Jugendliche unter 26 Jahren eine zweijährige Probezeit vorsah. Denn wegen das sehr weitgehenden Kündigungsschutzes in Frankreich fanden sich immer weniger Arbeitgeber, die neue Mitarbeiter fest anzustellen bereit waren. Der Druck der Straße verhinderte jedoch, dass das Wirklichkeit wurde. Das war auch der Anfang vom Ende von de Villepins politischer Karriere. Zum Vergleich: In Deutschland ist die zweijährige Probezeit für Neuangestellte ohne gröbere Probleme Realität geworden.

Das Festhalten am französischen Sozialmodell hat dazu geführt, dass Sarkozys konservative Partei UMP bisher beim Thema Arbeitsmarktpolitik weiter links einzuordnen war als so manche sozialistische Partei in Europa.

Klare Verhältnisse am Arbeitsmarkt

Lockerung des Arbeitsschutzes, Senkung der Unternehmenssteuer und uneingeschränkter Ausbau des befristeten Arbeitsvertrages: Nicht einmal Nicolas Sarkozy traut sich bisher all diese Forderungen auf einmal zu stellen. Für Europas wohl beliebtesten Sozialisten, den spanischen Premierminister José Luis Rodriguez Zapatero, war dies alles hingegen überhaupt kein Problem.

So gesehen ist Sarkozys Wirtschafts-Agenda für französische Verhältnisse eine Monstrosität. Er will den Kündigungsschutz lockern und einen einzigen Arbeitsvertrag schaffen, der mit zunehmender Anstellungsdauer mehr Rechte mit sich bringt. Bisher hat der unbefristete Arbeitsvertrag in Frankreich einen sehr starken Kündigungsschutz geboten und gleichzeitig Arbeitgebern hohe Auflagen auferlegt. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile die meisten Franzosen nur noch befristete Arbeitsverträge erhalten, von denen es mehr als 30 verschiedene gibt.

Im Gegenzug wird künftig das Arbeitslosengeld angehoben, das aber an striktere Bedingungen der Arbeitssuche gekoppelt ist. So darf ein Arbeitsloser nicht mehr als drei Angebote ausschlagen, die seiner Qualifikation entsprechen. Die 35-Stunden-Woche wird zwar als Grundlage beibehalten, doch können Angestellte künftig Überstunden machen, die zudem von Abgaben befreit sind.

Damit regelt Sarkozy endlich eine Grauzone, denn de facto wird die 35-Stunden-Woche bereits unterlaufen. Schließlich liegt die durchschnittliche Arbeitszeit bei Vollbeschäftigten in Frankreich bei 41 Stunden. Die Sozialhilfe wird künftig an Arbeit gekoppelt - noch eine Idee, an der sein Vorgänger Jacques Chirac gescheitert ist. Weitere Pläne zur Ankurbelung der Wirtschaft sind die Abschaffung der Erbschaftssteuer und die Reduzierung der Steuer auf Kapitalgesellschaften um 15 Prozent.

Staatliche Einsparung mit Hindernissen

Das Programm ist naturgemäß nicht gratis: Mit optimistisch geschätzten 32 Milliarden Euro beziffert Sarkozy die Kosten für seine Pläne. Finanziert werden sollen diese durch Umstrukturierungen und die Reduzierung öffentlicher Ausgaben um fünf Prozent. Dazu wird nur jede zweite Beamtenstelle nachbesetzt.

Doch viel wichtiger wäre laut Experten die Anhebung des Pensionsalters. Schließlich reißt die Rentenkasse gemeinsam mit der Arbeitslosenkasse Jahr für Jahr die größten Löcher in die Staatsfinanzen. Ob Sarkozy auch das anpacken wird, ist ungewiss. Zögerlich andiskutiert ist das Thema relativ schnell wieder aus dem Wahlkampf verschwunden.

Straßenproteste als Damoklesschwert

Die Pläne Sarkozys gelten natürlich nur unter der Voraussetzung, dass er nicht wie seine Vorgänger am Protest scheitert. Denn für manche Gruppen wird eine Realisierung der Pläne schmerzhaft sein. Eines ist klar: Als ausfälliger und aufbrausender Hardliner, als der er sich bisher oft präsentiert hat, ist Sarkozy prädestiniert, Aggression auf sich zu ziehen.

Dies macht seinen zweiten großen Programmpunkt zur echten Herausforderung: "Null Toleranz" rief der Hardliner in Sachen Recht und Ordnung im und vor dem Wahlkampf. Er wollte die Vororte französischer Metropolen "mit dem Kärcher" vom "Gesindel" säubern und mit starker Hand gegen die Kriminalität vorgehen.

Bisher ließen Erfolge auf diesem Gebiet auf sich warten. Nicht zu Unrecht hat ihm seine sozialistische Kontrahentin Ségolène Royal vorgeworfen, bereits als Innenminister an dieser Aufgabe gescheitert zu sein und im Gegenteil mit seinen Parolen das Feuer der Gewalt zusätzlich noch angefacht und Jugendliche auf die Barrikaden getrieben zu haben.

Im schlimmsten Fall könnte das den seit Jahrzehnten beklagten "sozialen Bruch" in der französischen Gesellschaft weiter verschlimmern und zu einer Spaltung der Nation führen.

Harte Linie auch in EU-Angelegenheiten?

Sarkozys harte Linie könnte trotz seines Wirtschaftsoptimismus aber auch die EU zu spüren bekommen. Denn unabhängig von allen Liberalisierungstendenzen ist und bleibt Sarkozy ein Nationalist. Das Ministerium für Nationale Identität, das er nun schaffen will, spricht für sich.

Liberalismus ist für Sarkozy meist nur dann eine tolle Sache, wenn er Frankreich zum Vorteil gereicht. Sarkozy hatte in der Vergangenheit keine Skrupel, die schützende Hand des Staates über französische Betriebe zu halten und ausländische Investoren abzuschrecken. Auch zögerte er nicht, mit dem Stopp von Transferzahlungen an EU-Mitgliedstaaten zu drohen, die ihre Steuersätze niedrig hielten und somit vielleicht Unternehmen und Steuern aus Frankreich abgeworben hätten. Seine Alleingänge sind berüchtigt, in denen er beispielsweise seinen Landsleuten Steuererleichterungen im Widerspruch zu EU-Regeln versprach.

Das bedeutet auch, dass Sarkozys Vorschlag einer reduzierten EU-Verfassung das Beste ist, was die Europäische Union erwarten darf. Einerseits wird es Zeit zu akzeptieren, dass die EU ein gemeinschaftliches Projekt ist und ein Mitglied (oder wie in diesem Fall mehrere) einmal "Nein" sagen kann. Andererseits werden viele Franzosen glücklich sein, dass ihnen nicht eine scheinbar von finsteren Mächten erarbeitete Verfassung aufgezwungen wird. Mit dem Verfassungsplan Sarkozys könnte es wieder eine französische Idee sein, die ein großes Kapitel der Europäischen Union prägt.

Das dicke Ende indes könnte auf Sarkozy erst noch zukommen, der seinen "Mini-Vertrag" (den er wohlweislich nicht mehr Verfassung nennt) mit einer Parlamentsabstimmung in den Urlaubsmonaten am Volk vorbei durchsetzen will. Da liegen wieder Demonstrationen in der Luft. Denn es ist zu bezweifeln, dass diese Vorgehensweise den Franzosen schmecken wird, egal wie viele sich von ihnen dann auf Reisen befinden. Vielleicht aber sind sie dann schon zu beschäftigt, wenn es bereits heißen sollte: arbeiten, arbeiten, arbeiten.