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Escape ist keine Option

Von David Ignatius

Gastkommentare
Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Gegen Zynismus und Populismus: Die US-geführte Ordnung ist unter Druck, US-Präsident Obama bietet Ideen zu ihrer Wiederherstellung an.


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Welch ein Augenblick für US-Präsident Barack Obama, als er am Dienstag in seiner Abschiedsrede vor der UNO die liberale Weltordnung verteidigte, in einer Zeit, in der diese weltweit ernsthaft unter Druck ist. Mitten in dieser unruhigen Weltlage brachte Obama seine bewährten Vorzüge zu Geltung: seinen Idealismus, seine moralische Klarheit und seinen ruhigen Intellekt. Aber diese Qualitäten scheinen nicht auszureichen, die schlechten Kräfte, die in der Welt wirken, einzudämmen. Während sich diese talentierte Führungspersönlichkeit darauf vorbereitet, das Amt zu verlassen, ist die Welt in größerer Unordnung, als beim Amtsantritt. Obama wirkt als Lichtgestalt, während die Welt sich verdunkelt. Obamas Rede war persönlich und kontrapunktisch. Ein Teil war dem US-Wahlkampf gewidmet, über "den Fortschritt, den wir in den letzten acht Jahren erzielt haben", mit Kritik am "rohen Populismus" Donald Trumps. Ein anderer Teil würde auch in die Bibelstunde passen, mit Argumenten gegen eine Welt voll zynischem Eigennutz. Durch die Rede Obamas hörte man bereits seine Memoiren hindurchklingen. Er sprach über seinen gemischtrassigen Hintergrund und seinen Aufstieg zur Macht. Obama betonte, dass alle Bürger und alle Nationen "die Wahl haben, diejenigen abzulehnen, die unsere schlechtesten Impulse ansprechen, und sich denen zuzuwenden, die unsere besten Impulse ansprechen." Das Kernstück von Obamas Rede war die liberale Weltordnung - eine Art Code für den amerikanischen Internationalismus und den globalen Führungsanspruch der USA. Statt einfach das alte System zu verteidigen, sprach sich Obama richtigerweise für eine Kurskorrektur in Sachen Globalisierung aus, damit diese als fairer und mehr einbeziehend wahrgenommen wird. Escape, wie Trump und andere mitunter nahelegen, sei keine Option: "Wir können die Vereinheitlichung nicht ungeschehen machen und die Technologie nicht in Schachteln zurückstopfen", sagte Obama. Die Schwächung der alten US-geführten Ordnung wird vom Aufstieg des einschüchternden (aber schwachen) Russlands und eines starken Chinas begleitet. Obama kündigte an, dass die Machtergreifung in der Ukraine und im Südchinesischen Meer letzten Endes nach hinten losgehen werde. Träume eines wiederhergestellten, neuimperialen Russlands mögen in Russland populär sein, aber sie werden im Endeffekt verkleinernd wirken und die Grenzen unsicherer machen, so Obama. Und auch China werde durch die "Militarisierung von ein paar Felsen und Riffen" an Sicherheit mehr verlieren als gewinnen. Über die Anstrengungen, die nötig sind, die jüngsten Gewinne der Autokraten zurückzudrängen und eine liberale Weltordnung wiederherzustellen, sagte Obama nicht viel. Solch eine Politik könnte zur Herausforderung für eine Präsidentin Hillary Clinton werden, wenn sie es schafft, die Wahl im November zu gewinnen. Obama hinterlässt die richtigen Ideen für die Wiederherstellung einer US-geführten Ordnung, aber unglücklicherweise auch die unausweichliche Tatsache der Verschlechterung dieser Ordnung während seiner Präsidentschaft.

Übersetzung: Hilde Weiss