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Der Gesundheitszustand der EU-Bevölkerung hat sich in den letzten vier Jahrzehnten verbessert, die Lebenserwartung hat sich im Schnitt um acht Jahre verlängert. Das geht aus dem EU-Sozialbericht hervor, der dieses Jahr dem Schwerpunkt Gesundheit gewidmet ist und gestern in Wien präsentiert wurde. Die Daten dokumentieren vor allem, dass Effizienzsteigerung und Neuorientierung im Sozial- und Gesundheitssystem zunehmend wichtiger werden. Die EU kann hier jedoch nur eine Koordinierungsfunktion übernehmen.
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"Es gibt keine Gesellschaft auf Probe, sondern wir leben jetzt", bringt es Hans-Joachim Schulze von der Vrije Universiteit in Amsterdam auf den Punkt. Der EU-Sozialbericht kann daher nur eine vergleichende Analyse vergangener und gegenwärtiger Daten liefern, die von der Kommission (Generaldirektion Beschäftigung und Soziales) gemeinsam mit dem EU-Statistikamt Eurostat erhoben werden. Aus den gesammelten Daten lassen sich aber Rückschlüsse und Lösungen für die Zukunft ableiten. Etwa dass die zunehmende Lebenserwartung massive Auswirkungen für die Kranken- und Pflegedienste mit sich bringen wird.
Ist die Lebenserwartung bis zum Jahr 2000 auf 81 Jahre bei Frauen und 75 Jahre bei Männern gestiegen, wird sie bis 2030 im Schnitt um weitere vier Jahre zunehmen - wobei die Lebenserwartung der Männer (plus 4,3 Jahre) schneller steigt und sich an jene der Frauen (plus 3,6 Jahre) annähert. Bis zum Jahr 2050 werden laut Prognosen der erwerbstätigen Bevölkerung nahezu ebenso viele alte und sehr alte Menschen gegenüberstehen (Verhältnis 50:50).
Höhere Kosten durch neue Technologien
Im EU-Durchschnitt werden 8,4 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung (des Bruttoinlandsprodukts, BIP) für Gesundheit aufgewendet. Drei Viertel davon sind öffentliche Ausgaben. Vom Ausgabenniveau kann aber nicht auf die Effizienz geschlossen werden, so Jörg Peschner von der EU-Kommission. Er gibt zu bedenken, dass durch den Einsatz neuer medizinischer Technologien und Behandlungen die Versorgung zwar verbessert wurde; gleichzeitig steige dadurch aber auch die Nachfrage nach medizinischer Behandlung - und damit nehmen auch die Kosten zu.
Als "Zustand des physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens" definiert die Weltgesundheitsorganisation Gesundheit. "Damit fällt sehr viel an Krankheit an", erläutert Schulze von der Vrije Universiteit in Amsterdam und Experte der sozialen Beobachtungsstelle der EU-Kommission. Die zunehmenden Probleme auf dem Gebiet der geistigen Gesundheit (wie Depression, Alkoholsucht, Stress oder Hilflosigkeit) verursachen auch höhere Kosten. Dazu kommt, dass Lebensstil und soziale Einbindung für den Gesundheitszustand zunehmend bestimmend werden. Schulze verweist etwa auf den Wechsel von der Mangel- zur Überflussgesellschaft; immer mehr Menschen sind übergewichtig, und Alkoholkonsum sowie "Tabakgenuss" steigen, in der Folge erhöht sich das Risiko für weitere Krankheiten. "Wir sind ständig mit Lebensmittel versorgt. Aber wir essen, als wäre morgen nichts mehr da", so Schulze. Hier sei ein Umdenken erforderlich, "ein sehr langer Prozess".
Weitere Faktoren, die den Gesundheitszustand bestimmen, sind aus europäischer Sicht die Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die EU sieht es als ihre Aufgabe an, "dass jeder gleichermaßen im Gesundheitssystem einbezogen ist", formuliert es Experte Schulze. Dem "Solidarmodell" der Union steht die USA als krasser Gegensatz gegenüber. Hier setzt man auf die Wechselwirkung der Sozial-, Wirtschafts- und Gesundheitspolitik. Dort wird "jedes Obrigkeitsdenken abgelehnt", so Schulze, "jeder sorgt für sich selbst, und wenn er keine Beschäftigung hat, kann er nicht für sich sorgen." Sozialpolitik ist in der EU stark nationalstaatlich geprägt. Die Funktion der EU, genauer: der Kommission, ist daher auf die Koordinierung der nationalen Politiken beschränkt. Ein Beispiel dafür ist die Einführung der Europäischen Krankenversicherungskarte ab 1. Juni 2004. Sie bringt vorerst keine neuen Leistungsansprüche, sondern nur eine Verwaltungserleichterung.