Regierung setzt auf Subventionen. | Inflation macht Wachstum zunichte. | NeuDelhi. "Über 100 Rupien für den Liter", schimpft Mister Arora. Der Händler kann sich nicht erinnern, dass Speiseöl einmal so teuer war. Reis, Linsen, Milch, fast alle Lebensmittelpreise sind in Indien in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Die Zigaretten hingegen, Mr. Arora zeigt auf sein großes Sortiment hinter sich an der Theke, "kein bisschen teurer".
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Der Mann aus Neu Delhi ist ehrlich empört. Ausgerechnet die Grundnahrungsmittel, für die die Armen, aber auch die unter Mittelschicht fast ihr ganzes Monatsgehalt ausgeben, kosten jeden Tag mehr.
Vom Markt in Nizamuddin East in Neu Delhi kommen in diesen Tagen keine guten Nachrichten. Die schwarze Kreidetafel bei Safal, dem staatlichen Gemüsegeschäft, zeigt in Hindi-Schrift die festgesetzten Preise für Zwiebeln, Okra, Koriander und Kartoffeln. Jeden Tag klettern die Zahlen weiter in die Höhe.
Der Preis für Milch ist in der Hauptstadt allein im letzten Monat um 11 Prozent gestiegen, Reis ist sogar um 20 Prozent und Linsen sind um 10 Prozent teurer. "Ein Besuch beim Gemüsehändler fühlt sich an wie ein Ausflug in eines der modernen, schicken Einkaufszentren Delhis", bemerkte die "Times of India" jüngst zynisch. Man könne sich die Auslagen anschauen, aber leisten könne man sich nichts. Die Zeitungen geben Tipps, wie man trotz der galoppierenden Kosten beim Essen sparen kann. Ingwer, Tomaten, Linsen, Kartoffel, Koriander, Auberginen, Sonnenblumenöl - das alles soll die kluge Hausfrau meiden, denn hier seien die Preise um mehr als ein Fünftel gestiegen. Da bleibt für die indische Köchin wenig übrig.
Die Inflationsrate im wachstumsverwöhnten Indien hat in diesem Monat sieben Prozent und damit den höchsten Wert seit drei Jahren erreicht. Rekordpreise beim Erdöl und weltweit immer teurer werdende Nahrungsmittel befeuern die Entwicklung noch. "Wir sehen noch kein Zeichen einer Trendumkehr", erklärt Saumitra Chaudhuri, ein Wirtschaftsberater der Regierung. Handelsminister Kamal Nath kündigte harte Strafen gegen Spekulanten an. Und Premierminister Manmohan Singh gestand ein, dass die Preisexplosion das Wirtschaftswachstum verlangsamen werde. Der rasante Anstieg der Nahrungsmittelpreise mache es nicht nur schwer, die Inflation zu kontrollieren, sondern werde auch dem Reformprozess des Landes schaden, sagte Singh.
M angelnde Infrastruktur verstärkt die Krise
Die Landwirtschaft ist bislang ein Stiefkind des Wirtschaftswunders "made in India". Der Sektor verzeichnet Wachstumsraten von mageren zwei bis drei Prozent. An eine Ausweitung der Produktion zur Behebung der Nahrungskrise ist nicht zu denken. Etwa 60 Prozent der Ackerfläche ist vom Monsun-Regen abhängig, weil künstliche Bewässerungsanlagen fehlen. Zudem verrottet ein Drittel der Ernte auf den Feldern oder verderben auf dem Weg zum Markt, weil es an geeigneten Transport- und Lagerkapazitäten fehlt.
Unter den hohen Nahrungsmittelpreisen leidet besonders das große Heer der Armen. Trotz Turbo-Wirtschaftswachstum um acht Prozent in den letzten Jahren leben fast 30 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze und müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Weil sie praktisch ihr ganzes Geld für Essen ausgeben, bleibt ihnen bei der Teuerung kaum eine andere Wahl als zu hungern.
Die Regierung versucht, den Preisanstieg durch Exportverbote und Subventionen zu mildern. Vor kurzem stoppte sie die Ausfuhr von Nicht-Basmati-Reis und versetzte damit Länder wie die Philippinen in Schrecken, die auf den Importreis aus Indien angewiesen sind. Außerdem will die Regierung die Preise für Grundnahrungsmittel staatlich noch stärker subventionieren. So soll der Liter Speiseöl mit 15 Rupien (30 Cent) aus dem Haushalt finanziert werden. Spätestens im Mai 2009 müssen Neuwahlen abgehalten werden. Und ohne Preiskontrolle wird keine Wahl zu gewinnen sein. Die Regierung wird weiter Schulden machen müssen, um die Kosten für teures Benzin und teure Nahrungsmittel abzufedern. Dadurch könnte die indische Wirtschaft angesichts der drohenden Rezession schneller an Schubkraft verlieren, als angenommen.