Die Überfischung der Weltmeere nimmt weiter zu. Auch EU-Fischereiminister hören nicht auf den Rat von Wissenschaftern.
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Rom/Wien. Weltweit wird immer mehr Fisch konsumiert: Im Schnitt isst jeder Mensch über 20 Kilo Fisch pro Jahr - doppelt so viel wie in den 1960ern. Das ist an sich nichts Schlechtes, denn Fisch ist gesund, reich an hochwertigen Proteinen und soll sogar Krebs vorbeugen. Mit der kontrollierten Aufzucht von Fischbeständen in Aquakulturen sollte auch das Problem der Überfischung gelöst werden. Doch der aktuelle Bericht der UN-Ernährungsorganisation FAO gibt wenig Grund zur Hoffnung auf eine Wende zur nachhaltigen Fischerei: Im Jahr 2014 wurden weltweit 93 Millionen Tonnen Fisch gefangen, 31,4 Prozent der Bestände sind überfischt. Anfang der 1970er waren es erst zehn Prozent gewesen. 58 Prozent der Bestände werden heute so stark befischt, dass eine Steigerung nicht möglich ist, nur zehn Prozent werden "moderat" befischt. Thunfischfänge sind auf einem Rekordhoch von 7,7 Millionen Tonnen, das ist ein Anstieg von 15 Prozent in nur vier Jahren. Besonders die Lage im Mittelmeer und im Schwarzen Meer, wo fast zwei Drittel der Bestände überfischt sind, sei "alarmierend". Dies gelte vor allem für Seehecht, Seezunge und Seebrassen.
Weil die Fischbestände schrumpfen, sind vor allem auf Fisch angewiesene Entwicklungsländer mit Problemen konfrontiert: Für mehr als drei Milliarden Menschen ist Fisch die Hauptquelle von tierischem Protein, die Überfischung führt zu zunehmender Mangelernährung. Hinzu kommt, dass zwar 60 Prozent des weltweit konsumierten Fisches aus Entwicklungsländern kommen, diese aber häufig Fisch von hoher Qualität exportieren - und im Gegenzug Fisch von geringem Wert einführen. "Die zarten Erholungstendenzen der letzten Jahre wurden zunichtegemacht", sagt Simone Niedermüller vom WWF, "Der Raubbau der Fischereiindustrie setzt die Ernährungssicherheit der Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern und die Gesundheit der Meere aufs Spiel."
EU-Verhandlungen"wie auf dem Basar"
Bei der Einhaltung von Fangquoten geht auch die EU nicht mit gutem Beispiel voran. Jedes Jahr kommen die Fischereiminister der Mitgliedstaaten zusammen, um die maximalen Fangquoten (Total Allowable Catch, TAC) für das Folgejahr auszuhandeln. Umweltschützer sprechen von "Verhandlungen wie auf dem Basar". Die Wissenschafter des International Council for the Exploitation of the Sea (ICES) sehen sich die Bestände an und geben eine Empfehlung für die Fangquoten ab. Für den Ostseedorsch etwa schlagen sie eine Senkung um 90 Prozent - doch es gibt ohnehin kaum mehr Dorsche, die den Fischern ins Netz gehen könnten.
Mit der Reform der Fischereipolitik von 2014 haben sich die Minister in die Papiere geschrieben, künftig nachhaltiger zu agieren und auf die Wissenschafter der ICES zu hören. Die Novellierung hat Obergrenzen festgelegt, ein Ampelsystem wurde eingeführt: Bei Fischen, deren Bestände drastisch reduziert sind, darf die Fangquote den Rat der Experten um nicht mehr als 20 Prozent übersteigen. Zudem gelten die Bestimmungen der EU-Fischereipolitik nun auch für europäische Fangflotten außerhalb der Union. "Ins Papier hat man sich tolle Vorgaben reingeschrieben, aber wir sind weit davon entfernt, die Europäischen Meere nachhaltig zu bewirtschaften", sagt Thilo Maack von Greenpeace Deutschland. Im Wasser messbar sei die Reform jedenfalls nicht, so der Meeresbiologe.
Weil die Verhandlungen der EU-Minister hinter verschlossener Tür stattfinden, ist es schwer zu bewerten, welche Länder den Rat der Experten ignorieren - und ihre Entscheidungen auf kurzfristige Interessen stützen. Es ist allerdings anzunehmen, dass jene Staaten, die den Rat der Experten übergehen, auch die sind, die sich in den Verhandlungen gegen die Vorschläge wehren. So erhalten Großbritannien, Dänemark und Schweden zwar die meisten TACs, sind aber auch jene Staaten, die den Rat der Experten am häufigsten überschreiten. Heuer übersteigt Irland die Vorgeschlagene Fangquote um 26 Prozent (38 Tonnen), Spanien um 24 und Schweden um 18 Prozent.
Insgesamt haben die EU-Staaten in den Meeren Nord- und Westeuropas den Rat der Experten in 68 TACs überschritten - und so rund 332.000 Tonnen mehr aus dem Wasser gezogen, als nachhaltig wäre. Im Schnitt werden die Quoten um 13 Prozent überschritten.
Bis 2020 will die EU die Fangmengen auf ein nachhaltiges Niveau reduzieren. Bei der aktuellen Politik wird sich das aber nicht ausgehen, fürchten Umweltschützer. Weil die Minister noch einige Jahre Spielraum haben, werde bis dahin erstrecht überfischt, so die Kritik. Maack rät dazu, bestimmte Bereiche von der Fischerei zu befreien, damit sich die Bestände erholen können. "Das war über Jahrhunderte das Geheimnis funktionierender Fischerei. Heute betreiben wir sie in tausenden Metern Tiefe, das wirkt sich aus."
148 Milliarden DollarExportumsatz
Die EU ist der größte Importmarkt für Fisch: "Mehr als 60 Prozent der verzehrten Fische kommen nicht aus der EU. Würden wir nachhaltig wirtschaften, müssten wir nicht so viel importieren", sagt Maack. Zudem sei die europäische Flotte viel zu groß, um nachhaltig zu wirtschaften. So exportiert die EU ihr Überfischungsproblem in andere Teile der Welt - und trägt zur Zerstörung der handwerklichen Fischerei in Entwicklungsländern bei. Rund 1200 europäische Industrieschiffe waren 2012 auf den Weltmeeren unterwegs, 160 Millionen Euro hat die EU damals für Verträge mit westafrikanischen Staaten ausgegeben. Nach der Fischereireform muss Brüssel die Verträge mit den Staaten Westafrikas nach und nach neu verhandeln. Es dürfte schwer werden, sich dabei nachhaltig auszurichten - der Wettkampf mit China, das sich noch weniger an Regeln hält, gilt auch für die Fischereipolitik.
Der Handel mit Meeresfrüchten ist in den vergangenen Jahrzehnten regelrecht explodiert: Laut FAO sind die Exportumsätze 2014 auf 148 Milliarden Dollar gestiegen - 1976 waren es noch acht Milliarden gewesen. Der extreme Produktionsanstieg geht vor allem auf die Fischzucht in Aquakulturen zurück: Jeder zweite konsumierte Fisch entstammt einer Zuchtanlage, der weltweite Bedarf könnte ohne diese Fischfarmen gar nicht gedeckt werden. Doch auch die viel gelobte "Blaue Revolution" der Aquakulturen ist keine Lösung. "Was wir aus ihnen herausholen, steht in keinem Verhältnis", sagt Maack. Um ein Kilo Lachs zu erhalten, brauche man - als Futtermittel - etwa 12 Kilo Frischfisch. Die Lösung? "Weniger Fisch essen", sagt Maack. Auch beim Einkaufen solle man nachdenken. Die Umweltorganisationen WWF und Greenpeace geben jedes Jahr einen Fischratgeber heraus. Er hilft als Handbuch beim Fischkauf, nachhaltiger zu entscheiden.
www.greenpeace.at/fisch-ratgeber