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"Et hätt noch immer jot jejange"

Von Angela Huemer

Politik
Mer stelle alles op de Kopp - wir stellen alles auf den Kopf, lautete das Motto des heurigen Kölner Umzugs. Auch Syrer feierten mit.
© Huemer

Nicht die Flüchtlinge, sondern Sturmtief Ruzica brachte den Karneval in Deutschland durcheinander. Die Umzüge in Düsseldorf und Mainz mussten abgesagt werden - nicht aber in Köln. Eindrücke vom heurigen Karneval im Schatten der Silvesternacht.


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Köln. Seit Beginn des neuen Jahres kam man in Köln um ein Gesprächsthema nicht herum: die Ereignisse der Silvesternacht, also massenhafte sexuelle Übergriffe und Taschendiebstähle durch Gruppen von Nordafrikanern im Bereich zwischen Hauptbahnhof und Dom. Kaum ein Bewohner der jüngsten Millionenstadt Deutschlands konnte sich vorstellen, dass die Kölner Polizei, der im Zuge der Silvesternacht Versagen vorgeworfen wurde, die "tollen" Tage im Griff haben wird.

Die Stadt und das Festkomitee präsentierten kurz vor dem Karnevalsendspurt ihr Sicherheitskonzept: doppelt so viele Polizisten wie im Vorjahr und ein "Security-Point" für Frauen auf der Südseite des Doms. Am Bahnhofsvorplatz wurde aufgertüstet: Wie ein Teleskop ragte eine Videokamera aus einem riesigen grünen Polizei-Gefährt. Der Platz wurde mit Einbruch der Dämmerung hell erleuchtet. Im Bahnhof selbst hängen immer noch deutsch-arabische Fahndungsaufrufe zur Silvesternacht: Bislang wurden 33 Tatverdächtige ermittelt, 766 Anzeigen erstattet, etwa je zur Hälfte Sexual- und Eigentumsdelikte.

Ansonsten herrschte in Köln Vorkarnevalsalltag wie sonst auch: Im ganzjährig geöffneten Kostümladen probiert ein seriöser Anzugträger einen Cowboyhut nach dem anderen, eine ältere Dame freut sich, nachdem sie das perfekte Hütchen gefunden hat. "Ich lasse mir den Spaß nicht verderben", sagt sie selbstbewusst. Sie werde feiern, wie sonst auch.

Am Donnerstag, zur Weiberfastnacht, eröffnet pünktlich um 11.11 Uhr das Dreigestirn, Prinz, Bauer und Jungfrau die Karnevalsendphase. Es regnet in Strömen. Die Polizisten wirken sichtlich erleichtert, denn in den Straßen finden sich deutlich weniger Jecken als sonst ein.

Die Kneipen füllen sich rasch. Gegen Mittag wird eine belgische Journalistin während ihres Live-Berichts belästigt. Am nächsten Tag stellt sich ein 17-jähriger in Begleitung seiner Mutter auf einer Polizeiwache im Kölner Umland und beteuert laut Polizei, keine "sexuell motivierte Absicht" gehabt zu haben.

Polizisten aus Bochum

Der heuer erstmals im Einsatz stehende Security-Point für Frauen ist nicht einfach zu finden. Er ist ein Bauwagen mit Plakat, einem mobilen Klowagen ähnlich. Keiner der danach gefragten Polizisten kann helfen. "Ich komme aus Bochum und habe gerade den Dienst angetreten", lautet die Antwort fast unisono. Christine Kronenberg, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Köln, ärgert das: "Da muss ich noch mal ernsthaft mit der Polizei reden", sagt sie. Kronenberg erklärt, die Stadt habe mit dem Security-Point vor allem ein Zeichen setzen wollen. Und: "Seit Silvester herrscht ein anderes Bewusstsein. Das ist gut. Auch, dass es mehr Anzeigen gibt." Von Donnerstag bis Montagfrüh gab es in Köln insgesamt 489 Strafanzeigen. Zudem wurden 42 Strafanzeigen wegen Sexualdelikten gestellt - deutlich mehr als im Vorjahr. Die Polizei führte diesen Anstieg unter anderem auf die zunehmende Bereitschaft von Opfern zurück, Strafanzeige zu erstatten.

Ironische politische Töne gab es Samstagabend beim Jeisterzoch (Geisterzug), dem etwas alternativeren Teil des Karnevals: "Tiere gegen die Salamisierung des Abendbrotes" hieß es da auf einem Transparent - am selben Tag hatten Pegida-Anhänger in mehreren Städten zu Kundgebungen aufgerufen.

Sonntag war der Tag des volkstümlichen "Schull- und Veedelszoch". Wieder regnete es in Strömen, wieder kommen weniger Leute als sonst. Ein Marktstand-Betreiber beim Heinzelmännchen-Brunnen beschwert sich über die Besucherflaute. Einzig mit den Polizisten, die von außerhalb kommen, sei er zufrieden - die seien viel effizienter als ihre "lahmen Kölner Kollegen". Nach dem Zug ist die Stimmung gut, eine beschwingte Dame verteilt Blumen an die Polizisten und lobt sie. Die haben aber keinen Kopf dafür, denn sie überprüfen gerade die Dokumente eines jungen Mannes. Eine Szene, die man in diesen Tagen öfter sah: Seit dem Donnerstag gab es 339 Anhaltungen und 57 vorläufige Festnahmen, die Zahl der Platzverweise verdoppelte sich nahezu auf über tausend.

Am Rosenmontag hat die lokale Presse dann nur noch eine Sorge: das Wetter. "Petrus, mach keinen Quatsch!", bittet die Kölner Boulevardzeitung "Express". Ein Sturm droht. Nach den Mainzern sagen auch die Düsseldorfer ihren Zug ab, die Kölner aber trotzen dem Wetter - nur Pferde, große Figuren und Fahnen gibt es diesmal nicht.

Bald kommt dann nach anfänglichem Regen doch noch die Sonne raus. Auf der Domtreppe spielt eine Gruppe junger Syrer Musik, gekleidet in traditionellen Westen aus Damaskus. Vor dem Bahnhofseingang hockt eine Gruppe junger Frauen, als Panzer-
knackerinnen verkleidet. Ob sie sich so maskiert haben, damit sie sich sicherer fühlen? "Nein, einfach so", antwortet eine von ihnen. "Ich wollte feiern wie immer und bin zuversichtlich, dass Silvester eine einmalige Sache war."

Auch eine etwas betagtere Besucherin des Umzugs lässt nicht aus der Ruhe bringen. "Nach dem Krieg hatten wir acht Millionen Flüchtlinge, alles war zerbombt, wir haben’s aber geschafft", erzählt die Frau. Sie sei nach wie vor fest vom dritten kölschen Gebot überzeugt: "Et hätt noch immer jot jegange" - es ist noch immer gut gegangen.