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ETA-Angst überschattet Urnengang

Von WZ-Korrespondent Günther Bading

Europaarchiv

Erinnerungen an Terroranschläge vor vier Jahren. | Wahl am Sonntag: Sicherheitskontrollen im ganzen Land. | Madrid. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen finden am Sonntag die spanischen Parlamentswahlen statt. Zu Beginn der letzten Wahlkampfwoche sind die Sicherheitskräfte des Landes in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Am Donnerstag vor der Wahl vor vier Jahren hatten islamistische Terroristen mit Bomben in vier Madrider Zubringerzügen 191 Menschen getötet und 1800 verletzt.


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Hohe Beteiligung?

Ein neuerliches Attentat vor den Wahlen will die Regierung mit allen Mitteln verhindern. Die Sorgen richten sich auf die baskische Untergrundorganisation ETA, seit Ministerpräsident José Luis Zapatero die Verhandlungen mit ihr abgebrochen und der Polizei energische Verfolgung der Terrorgruppe befohlen hat. "ETA wird versuchen, vor den Wahlen zu töten", hat Innenminister Alfredo Rubalcaba vor wenigen Tagen gesagt, um die - höchste - Alarmstufe drei zu begründen.

Neben zahllosen Kontrollen durch Polizei und der Sondereinheit Guardia Civil wird selbst das Militär zur Bewachung von Flughäfen, Bahnhöfen, Fähren und öffentlichen Einrichtungen herangezogen.

Rund 32 Millionen Spanier sind am 9. März wahlberechtigt. Man erwartet wieder eine Rekord-Wahlbeteiligung wie 2004, als 25,5 Millionen Menschen (77,2 Prozent) ihre Stimme abgegeben hatten.

Das Interesse bleibt hoch, denn trotz Führung der regierenden Sozialistischen Partei in den Meinungsumfragen kann es bei der Verteilung der Parlamentsmandate aufgrund des spanischen Wahlsystems durchaus ein Kopf-an-Kopf-Ergebnis zwischen Sozialisten und der konservativen Volkspartei geben.

So hetzen Regierungschef Zapatero und sein Herausforderer Mariano Rajoy bis Freitag um Mitternacht noch von einem Wahltermin zu anderen. Ab Samstag Null Uhr ist jeder Wahlkampf in Spanien laut Wahlgesetz verboten. Am "día de reflexión" - dem Tag des Nachdenkens - soll der Wahlbürger unbeeinflusst entscheiden, wem er tags darauf seine Stimme gibt.

Am späten Montagabend hatten sich die beiden Spitzenkandidat das letzte Fernseh-Duell geliefert. Naturgemäß sahen beide Parteien jeweils ihren Mann als Gewinner, wenn auch Zuseher-Befragungen Zapatero einen Sieg einräumten.

Wirtschaftsabschwung

Schon am Dienstag sprachen beide wieder auf Kundgebungen. In der Endphase wird die Wirtschaftsentwicklung zum dominierenden Thema. Denn nach mehreren Jahren des Booms, der schon unter der konservativen Regierung von 1996 bis 2004 eingesetzt hatte, mehren sich die Indikatoren für einen deutlichen Abschwung. Hohe Inflation von 4,4 Prozent, der Verlust von 300.000 Arbeitsplätzen in den vergangenen fünf Monaten sowie eine von ursprünglich 3,8 Prozent auf nur noch 2,4 bis 2,6 Prozent reduzierte Wachstumsprognose sprechen für sich. "Tu bolsillo no miente - Dein Geldbeutel lügt nicht" ist der inoffizielle Wahlslogan, der in allen privaten Gesprächen dominiert.

Rajoy von der Volkspartei macht dieses Thema zum Hauptgegenstand seiner Wahlreden. "Wirtschaft ist alles", sagt er und setzt auf Steuersenkung plus Ausgabenkürzung. Des Weiteren kritisiert er Zapateros Versagen bei der Kontrolle der illegalen Einwanderung und verurteilt das marode Bildungssystem. Das Thema Terrorismus rundet seinen Katalog der Vorwürfe ab, indem er Zapatero Naivität bei dessen "Friedensverhandlungen" mit der ETA vorhält und immer wieder versichert: "Ich werde keine politischen Verhandlungen mit Terroristen führen."

Zapatero wehrt das "Katastrophengerede" der Konservativen mit Erfolgszahlen aus der Wirtschaft bis 2007 ab, verspricht zwei Millionen Arbeitsplätze bis 2010 - "davon die Hälfte für Frauen" -, listet die lange Reihe seiner Wahlgeschenke vom "Baby-Scheck" für Neugeborene von 2500 Euro über Mietbeihilfen für junge Leute bis zum 400 Euro-Lohnsteuerbonus auf.

Und er verweist auf seine moderne Politik mit mehr Freiheitsrechten, erinnert an die Einführung der Homo-Ehe, Express-Ehescheidungen, Gleichstellungsgesetz für Frauen und Männer. Und er hofft, dass sein progressives Programm mehr zieht als der konservative Blick auf den Geldbeutel.

Zur Person: José Luis Rodriguez Zapatero

(gb) "Ich bin ein Roter", sagt José Luis Rodriguez Zapatero über sich selbst. Seit Juli 2000 ist er Generalsekretär und damit Chef der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE). Seit dem 17. April 2004 regiert er mit einer von der kommunistischen Vereinten Linken und einigen Regionalparteien geduldeten Minderheitsregierung.

Zapatero ist oft unterschätzt worden. In seiner eigenen Partei, in der spanischen Bevölkerung, vom politischen Gegner. Das hat dem am 4. August 1960 in Valladolid geborenen und in León aufgewachsenen Juristen in seiner Karriere oft geholfen. 1979 trat er in die PSOE ein, wurde 1982 Vorsitzender der Parteijugend in seiner Heimatprovinz León. 1986 geriet er kurz ins Licht der Öffentlichkeit, als er jüngster Abgeordneter im spanischen Parlament wurde. Erst 1997 stieg er, als Provinzvorsitzender von León, in den Vorstand der PSOE auf. Als er sich in einer Kampfabstimmung - nach viel Geschiebe und Gerangel hinter den Kulissen - im Juli 2000 durchsetzte und Parteichef wurde, fragten sich selbst PSOE-Mitglieder: Wer ist das eigentlich?

Heute fragt das niemand mehr. "ZP" wie man ihn seit dem Wahlkampf 2004 nennt, ist zum Markenzeichen einer erneuerten Sozialistischen Partei geworden, deren Kennzeichen nicht mehr Solidarität, sondern Progressivität ist.

Im Wahlkampf gibt sich der Parteichef als "progressiv", als der Mann, der Spanien aus der dumpfen Ecke des katholischen Wertkonservativismus herausführt in eine schöne neue Welt der persönlichen Freiheit, mit mehr Rechten für den Einzelnen, und für Minderheiten. Er ruft die Leistungen seiner vier Amtsjahre in Erinnerung mit Liberalisierung des Familienrechts, weitgehende Freigabe von Stammzellenforschung und die Einführung eines Bürgerkunde-Unterrichts.

Einst als harmloses "Bambi" verspottet, hat sich "ZP" in seiner Partei aller Widersacher mit harter Hand entledigt. Sein Bild in der Öffentlichkeit ist dennoch das eines eher weichen Mannes, der den "Dialog" - Zapateros Lieblingswort - jedem Streit vorzieht. Schon deshalb versucht er es im Wahlkampf mit dem Slogan: "Wähle mit all Deiner Kraft."

+++ Zur Person: Mariano Rajoy Brey

(gb) "Wenn Du den Mund hältst, krabbelt keine Fliege hinein". Mit solchen Volksweisheiten lässt der Vorsitzende der konservativen Volkspartei (Partido Popular) Journalisten bei unangenehmen Fragen abblitzen. Mariano Rajoy Brey stammt aus dem grünen Norden Spaniens. Geboren wurde er am 27. März 1955 im Wallfahrtsort Santiago de Compostela. Er ist also Galicier. Das ist mehr als nur eine Herkunftsbezeichnung. Die "gallegos", gelten als wortkarg, aber beredt, wenn es gilt, Interessen durchzusetzen.

Der hochgewachsene Brillenträger mit dem graumelierten Vollbart, passionierte Zigarrenraucher und erklärte Radsport-Fan hält sich gern im Hintergrund und macht dennoch Karriere. Nach dem Jus-Studium trat er 1981 der Alianza Popular (Volksallianz) bei, aus der 1989 die Volkspartei (PP) wurde. Im selben Jahr schon wurde er galicischer Landtagsabgeordneter.

1983 schaffte er den Sprung ins Nationalparlament, kehrte allerdings in die Landespolitik Galiciens zurück, wo er Vize-Ministerpräsident wurde.

In der Volkspartei war er enger Mitstreiter von Parteichef José María Aznar, leitete den Wahlkampf 1996, als die PP die Sozialistische Partei nach 13 Jahren aus der Regierung verdrängte.

Die Koalition mit mehreren Regionalparteien, durch die der Wechsel erst möglich wurde, zimmerte Rajoy in zähen Verhandlungen. Rajoy war nacheinander Minister für öffentliche Verwaltung, Bildung und Inneres. Bis 2004 war er stellvertretender Regierungschef.

Seit 1993 ist er ununterbrochen Abgeordneter im Madrider Kongress. Als Fraktionschef ist er zum scharfzüngigen Debattenredner geworden, der die Regierungsbank oft mit beißendem Spott überzieht.

Dennoch schneidet er bei Umfragen, etwa nach der Debatte zur Lage der Nation, stets schlechter ab als Regierungschef Zapatero. Offen zur Schau gestellte Überlegenheit stößt die Spanier ab.

Im Wahlkampf schlägt Rajoy deshalb jetzt Zwischentöne an, betont, dass er versöhnen wolle statt spalten und hat dazu den Wahl-Slogan erfunden: "Wähle mit Kopf und Herz".