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Etappensieg

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Italiens Premier hat sein Arbeitsmarktgesetz durchgebracht, nun muss er die Konjunktur beleben.


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Rom. Als die Fäuste flogen, war Matteo Renzi weit weg. Der italienische Ministerpräsident weilte beim EU-Jobgipfel in Mailand, als im römischen Senat über die Arbeitsmarktreform entschieden wurde. 165 Senatoren stimmten bei einer Vertrauensabstimmung mit Ja, 111 mit Nein, zwei enthielten sich. Damit war die ebenso umstrittene wie lange erwartete Reform in erster Lesung durchgewunken. Das Ergebnis gilt als Erfolg für den 39-jährigen Ministerpräsidenten.

Ein Uhr nachts war es bei der Abstimmung geworden. Zuvor ging es im Senat so ähnlich zu wie auf dem Münchener Oktoberfest. Es war laut, es wurde heftig geschimpft. Dazu warfen protestierende Senatoren Bücher und Münzen durch den Plenarsaal im Palazzo Madama. Auch von der einen oder anderen Ohrfeige wurde berichtet. Als "Inszenierungen, die die Italiener satt haben", tat Renzi den Tumult später ab. Dass die Abstimmung über das Gesetz zur Reform des Arbeitsmarktes so unruhig verlief, hat seinen Grund. Der verkrustete Arbeitsmarkt gilt als eines der Hauptprobleme Italiens. Viele ältere Arbeitnehmer profitieren von unkündbaren Verträgen, jüngere Italiener müssen sich meist mit prekären Projektverträgen abgeben und können sich keinen eigenen Haushalt leisten. 44 Prozent aller Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren im Land sind arbeitslos.

Generalstreik angedroht

Bewegung in den Arbeitsmarkt zu bringen, Anreiz für Beschäftigung zu schaffen und dabei auch vor der Beschneidung von Arbeitnehmerrechten nicht zurück zu schrecken, das hat sich Renzi gegen viele Widerstände vorgenommen. Die Gewerkschaften drohen mit Generalstreik. Aber auch der linke Flügel seiner "Demokratischen Partei" (PD) wehrt sich gegen die Reform, die in Brüssel als der Kern der in Italien notwendigen Strukturreformen betrachtet wird. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Reform als "sehr wichtigen Schritt".

Intern sagte Renzi nach Medienberichten, es sei absurd, dass er mehr Lob von den europäischen Partnern bekomme als von den Senatoren seiner eigenen Partei. Der ohne ideologische Scheuklappen und oft wenig moderat auftretende Premier muss sich seit Beginn seiner Regierungszeit im Februar immer wieder mit dem linken, ehemals kommunistischen Flügel seiner Partei auseinander setzen, der sich nun entschieden auf die Seite der Arbeitnehmer stellte. Für die zweite Lesung des von Arbeitsminister Giuliano Poletti vorgelegten "Jobs Act" im Abgeordnetenhaus haben mehr als 30 Parteifreunde und Abgeordnete bereits Proteste angekündigt. Insbesondere der Kündigungsschutz entzweit die Gemüter.

Die Regierung will den Kündigungsschutz lockern. Außerdem sieht das neue Gesetz vor, die derzeit über 40 zulässigen Varianten von Arbeitsverträgen auf wenige Formen zu reduzieren. Unternehmer bekommen steuerliche Vergünstigungen, wenn sie Arbeitnehmer unbefristet anstellen. Eine Kündigung in den ersten drei Jahren ist in diesen Fällen leichter möglich, erst ab dem dritten Vertragsjahr genießt der Arbeitnehmer größeren Schutz, der im Lauf der Arbeitsjahre weiter zunimmt. Mittels einer Arbeitsagentur nach deutschem Vorbild sollen Jobs künftig aktiver vermittelt werden. Für Renzi, der sich zuletzt Vorwürfen ausgesetzt sah, vielen Ankündigungen keine Taten folgen zu lassen, war die Abstimmung im Senat ein wichtiger Schritt.

Experten sind sich einig, dass die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nur dann sichtbare Folgen hat, wenn die Konjunktur in Gang kommt. Italien befindet sich in der Rezession, die Staatsverschuldung droht in diesem Jahr auf 137 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzusteigen. Im Gegenzug für seine Reformen verlangt der Premier mehr Spielraum zur Neuverschuldung und Investitionen vonseiten der Europäischen Union. Renzis Rechnung dürfte erst dann aufgehen, wenn er mit seinen Reformen noch weiter vorankommt.