Wer sich von Religion abmeldet, hat schulfrei. | Personenkomitee wirbt für Ethik als Pflichtfach. | Schulversuche laufen bereits seit 14 Jahren. | Wien. Wächst in Österreich eine "Jugend ohne Gott", wie sie etwa Ödön von Horvath in seinem bekannten gleichnamigen Buch beschrieben hat, heran? Für diese These sprechen nicht nur die ansteigenden Kirchenaustrittszahlen, sondern auch die zunehmenden Abmeldungen von Schülern vom Religionsunterricht (derzeit rund sechs Prozent). | Analyse: Ethik statt Kaffeehaus: Eine Formel zur Rettung des Religionsunterrichts?
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Was bisher für die Betreffenden nur Vorteile hat: Denn statt zwei Mal wöchentlich die Bibel zu studieren, hat der Nachwuchs schulfrei - und geht ins Kaffeehaus. Die religiös-ethische Bildung kommt damit ebenso zu kurz wie die Lehre über humanistische Normen und Fragen der Moral und Ethik.
Heftige Kritik an dieser Praxis hat am Mittwoch unter anderen der evangelische Bischof Michael Bünker geübt. Geht es nach ihm, sollte in Österreich kein Schüler zur Matura antreten dürfen, ohne eine Grundausbildung in religiösen und ethischen Fragen bekommen zu haben. "Diese jungen Leute laufen sonst Gefahr, Manipulationen, Willkür und Populismus nicht mehr zu erkennen und zu widerstehen", sagte er. Daher seine Forderung an die Politik: Die flächendeckende Einführung eines Ethikunterrichts für die Schüler der AHS- und BHS-Oberstufe. Das Pflichtfach besuchen sollen laut Bünker jene Kinder, die sich entweder vom Religionsunterricht abgemeldet haben oder einer in Österreich nicht anerkannten Religionsgemeinschaft angehören.
194 Schulversuche laufen
In seinem Anliegen unterstützt wird der Bischof von einem Personenkomitee, dem unter anderen auch der Alt-Dekan der philosophischen Fakultät an der Uni Wien, Peter Kampits, und Rektor Michael Wagner von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule in Wien und Krems angehören.
Nun ist die Forderung nach einem verpflichtenden Ethikunterricht in Österreich nicht neu. So hatte etwa bereits 1996 der damalige Wiener Stadtschulratspräsident Kurt Scholz die Einführung eines Ersatzfaches für nicht-religiöse Schüler vorgeschlagen. Erstmals erprobt wurde diese Idee im darauf folgenden Jahr in Form eines Schulversuchs an insgesamt sieben Standorten in Wien, Tirol und Vorarlberg. Was folgte, war eine nahezu explosionsartige Zunahme bei den Schulversuchs-Anträgen auf 100 Fälle bis zum Jahr 2002. Ihren Höhepunkt erreichte der Ethikunterricht-Boom im Jahr 2008 mit rund 200 Anträgen. Derzeit läuft der Schulversuch in 105 AHS- und 89 BHS-Oberstufen.
Kein Lehrplan für Ethik
"Die Versuche waren sehr erfolgreich", sagte Bünker und nannte unter anderen das Bundesoberstufenrealgymnasium Hegelgasse im ersten Wiener Gemeindebezirk als Beispiel. Derzeit sind dort vier Pädagogen als Ethiklehrer im Einsatz, die allesamt entweder an der Pädagogischen Hochschule oder an der Universität ausgebildet wurden. An der Uni kann das Diplomstudium "Ethik" bereits seit 2002 belegt werden.
Grobe Mängel orten die Befürworter des Ethikunterrichts nach wie vor beim Lehrplan. Grund: Er existiert noch gar nicht. Um überhaupt den Versuch durchführen zu können, musste der Lehrplan von den betroffenen Schulen erst autonom erarbeitet werden, wobei sich die beteiligten Pädagogen an den bestehenden Plänen für den katholischen und evangelischen Religionsunterricht orientierten. Was aber nicht heißt, dass das Christentum im Ethikunterricht bevorzugt behandelt würde: "Es geht uns darum, gravierende Wissenslücken zu schließen und die Herzensbildung zu fördern", betonte Bünker. "Da geht es nicht nur um die Weltreligionen und Sekten, sondern auch um aktuelle Fragen zur Medizinethik wie etwa zu Abtreibung, Sterbebegleitung oder Euthanasie."
Im Unterrichtsministerium will man von der baldigen Einführung des Ethikunterrichts nichts wissen. Grund sind die hohen Kosten. Um diese bei den Schulversuchen in den Griff zu bekommen, hat das Ministerium bereits in den vergangenen Jahren begonnen, die Ausgaben zu reduzieren. Mit der Konsequenz, dass die teilnehmenden Schulen, um das Fach Ethik überhaupt anbieten zu können, andere Unterrichtseinheiten wie etwa den Sport "einsparen" mussten.