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Wie das Ersatzfach für Religion "diskriminiert" wird und warum es Fundamentalismus vorbeugt.
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Wien. "Ich stelle mit Erstaunen fest, Ethik ist offenbar ein Thema, das viele interessiert." Christian Zillner, Moderator des Science Talks über Ethik und Religion in der Schule, war erfreut über die dicht besetzten Zuhörerreihen in der Aula der Akademie der Wissenschaften in der Wiener Innenstadt. Zwischen der Vertreterin des konfessionellen katholischen Religionsunterrichts, Andrea Pinz vom Schulamt der Erzdiözese Wien, und den Fürsprechern des Faches Ethik, Michael-Albert Jahn vom Institut für Philosophie der Universität Wien, und Georg Gauß von der Bundesarbeitsgemeinschaft Ethik gab es am Montagabend zwar gegenseitige Wertschätzung am Podium - aber auch kleinere Sticheleien.
Seit 1995 wurde Ethik als Schulversuch in gut 200 Schulen in Österreich erprobt. Jetzt steht eine Zäsur bevor. Bildungsminister Heinz Faßmann bereitet Ethik als verpflichtenden Ersatzgegenstand für den Religionsunterricht ab dem Schuljahr 2020/21 in der Oberstufe vor. Damit soll verhindert werden, dass Schüler ihre Zeit statt beim Religionsunterricht in Kaffeehäusern um die Schulen verbringen.
8,4 Prozent der Schülermelden sich von Religion ab
Pinz trat allerdings vehement der Ansicht entgegen, die Zahl jener, die das Fach Religion schwänzen, sei drastisch gestiegen. Im Moment gehe es um 8,4 Prozent der Schüler. Der Anteil sei seit 20 Jahren etwa gleich hoch. Außerdem stellte die Expertin vom Schulamt der Erzdiözese Wien und damit von Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn die provokante Aussage in die Aula, sie schaue sich gern an, von welchen Fächern sich die Schüler abmelden würden, wenn sie das am Schulbeginn so wie beim Religionsunterricht machen könnten.
Jahn, der seit 1995 für den Ethikunterricht kämpft, warnte vor einem künstlichen Gegeneinander. Als früherer Schuldirektor habe er den Ethikunterricht als "Bereicherung" empfunden.
Gauß beklagte, dass die Abmeldung vom Religionsunterricht Voraussetzung für den Besuch des Fachs Ethik sei. "Das finde ich fast diskriminierend", meinte er unter Applaus. Eine launische Anmerkung zur Liebe der Österreicher zu Feiertagen und zur nun entflammten Diskussion, ob der Karfreitag nicht nur für evangelische Arbeitnehmer frei sein soll, konnte sich der Lehrer am Borg Mistelbach in Niederösterreich nicht verkneifen: "In der aktuellen Karfreitags-Diskussion werden wir es nicht schaffen, einen gemeinsamen Feiertag zu finden." Damit hatte er die Lacher im Publikum auf seiner Seite.
Pinz bemühte sich, die Debatte um die vorherige Abmeldung vom Religionsunterricht, woran die katholische Kirch festhalten will, zu entschärfen: "Religion schließt Ethik ein, ist aber mehr als Ethik." Religionsunterricht sei prägend für die Jugend. Die Vertreterin der Erzdiözese Wien warnte vor Überlegungen, Religion als Schulfach zu beseitigen. Religiöse Erziehung dürfe nicht außerhalb des öffentlichen Raumes stattfinden, sagte Pinz: "Das beugt Fundamentalismen vor." Wenn Religionsunterricht nicht in der Schule passiere, dann finde er in Hinterhöfen statt, meinte sie offenbar in Anspielung auf Warnungen vor der Verbreitung des radikalen Islam in Hinterhöfen.
Sie verwies darauf, dass es in Wien schon einen gemeinsamen Unterricht von katholischen, altkatholischen, orthodoxen und evangelischen Schülern gebe. Dabei versuche man, an den jeweiligen Schulstandorten von Unterschieden zu lernen.
Einigkeit herrschte bei den drei Diskustanten, dass der Ethikunterricht schon in der Unterstufe angeboten werden solle. Pinz sprach sich ebenso dafür aus wie Jahn. "Sie rennen offene Türen ein bei mir", versicherte er. Jetzt sei man aber "einmal froh", dass es in der Oberstufe als verpflichtender Ersatzgegenstand eingeführt werde. Für Gauß ist das ein "Riesenerfolg".
Initiative fordert Ethikunterricht für alle
Die geplante Einführung eines Ethikunterrichts für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, greift jedoch für Vertreter der "Initiative Religion ist Privatsache", des Frauenvolksbegehrens, SPÖ-naher Schüler und Neos zu kurz. Ethik solle vielmehr für alle Schüler ab der ersten Klasse verpflichtend sein, wurde in einer Pressekonferenz am Dienstag gefordert.