EU bekräftigt Kennzeichnungspflicht für Produkte aus jüdischen Siedlungen - HRW will Boykott.
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Tel Aviv/Brüssel/Wien. Der Krieg in Syrien, der Vormarsch der IS-Dschihadisten auch in anderen Teilen des Mittleren Ostens und die militärischen Scharmützel zwischen Riad und Teheran im Jemen haben zuletzt einen Konflikt in den Hintergrund treten lassen, der den Nahen Osten seit Jahrzehnten dominierte: der israelisch-palästinensische. Die Kritik an Israels Besatzungspolitik und palästinensischen Vergeltungsmaßnahmen war weitgehend verstummt. Ein Bericht von Human Rights Watch und eine gemeinsame EU-Erklärung haben den Krisenherd nun aber wieder in Erinnerung gerufen. Im Fokus der Kritik steht Israels Besatzungspolitik. Sowohl die Menschenrechtsorganisation als auch die Außenminister der EU machen deutlich, dass sie die konstante Ausweitung der jüdischen Siedlungen in den Palästinensergebieten als Hindernis für eine Zwei-Staaten- und damit für eine Friedenslösung betrachten - und fordern deshalb Konsequenzen.
Nach Schätzungen der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, dem Information Center for Human Rights in the Occupied Territories, leben im Westjordanland und in Ostjerusalem mittlerweile 550.000 sowie auf den Golanhöhen 20.000 jüdische Siedler. Allein im Westjordanland hat sich deren Zahl seit dem Beginn der Neunzigerjahre mehr als verdreifacht. Israel verstößt damit gegen das Völkerrecht: Die Vierte Genfer Konvention untersagt die Ansiedlung eigener Bevölkerungsgruppen in annektierten Gebieten.
Besonders umstritten sind Pläne der Regierung Netanjahu, östlich von Jerusalem in der sensiblen East-1-Zone mehrere tausend neue Wohneinheiten für Siedler entstehen zu lassen. Gemeinsam mit der angrenzenden Megasiedlung Maale Adumim bildet diese Zone eine Art Puffer, der das Westjordanland in einen nördlichen und einen südlichen Teil trennen würde. Die Bildung eines zusammenhängenden Palästinenserstaates würde damit nahezu unmöglich gemacht.
Genau das will die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch (HRW) verhindern und ruft deshalb ausländische Firmen in aller Welt dazu auf, allfällige Geschäftsbeziehungen zu den jüdischen Siedlungen zu beenden. Denn deren "wirtschaftliche Tätigkeit befördert unvermeidlich die israelische Strategie, die Palästinenser zu enteignen und hart zu benachteiligen, indem Israel deren Land und andere Ressourcen stiehlt", meinte Direktor Arvind Ganesan am Dienstag anlässlich der Präsentation des HRW-Berichts. Beleuchtet wird darin vor allem die Wirtschaftstätigkeit von Geldinstituten und Immobilienfirmen, aber auch der Abbau von Bodenschätzen, Steinbrüchen sowie die Agrarwirtschaft. Zur Siedlerwirtschaft gehören auch rund 1000 Produktionsstätten in 20 Gewerbegebieten.
Von der Staatengemeinschaft fordert HRW, Siedlerprodukte aus bilateralen Zollabkommen auszunehmen. Und für diese eine Kennzeichnungspflicht einzuführen. Eine Empfehlung, die die EU schon im November beschlossen hatte. Sie gilt allerdings nur für nicht verarbeitete Lebensmittel, Wein, Geflügel sowie für kosmetische Produkte. Ausgenommen sind hingegen die meisten Industrieprodukte. Bei Letzteren bleibt es den einzelnen EU-Staaten überlassen, ob sie Herkunftsangaben verlangen. Die Richtlinie wurde zudem bisher erst von wenigen Mitgliedstaaten umgesetzt. In Österreich geht dies bisher jedoch nur schleppend voran. Andere Länder wie Polen oder Tschechien trugen sie nur halbherzig mit.
Israel selbst reagiert empfindlich auf derartige Vorstöße. Als Reaktion auf die EU-Richtlinie drohte das Land im Herbst, die Zusammenarbeit bei Hilfsprojekten für die unter Besatzung lebenden Palästinenser einzustellen. Dabei betrifft die neue Kennzeichnung, wie die Kommission in Brüssel vorrechnet, nur etwa ein Prozent der zwischen Israel und der EU gehandelten Güter - allerdings sind es 2,5 Prozent bei Agrarprodukten. Der bilaterale Handel beläuft sich auf insgesamt 30 Milliarden Euro (2014), 17 Milliarden davon sind Exporte in die EU.
Doch die Regierung in Jerusalem befürchtet, dass die Etikettierung in einen Boykott der Produkte münden könnte. "Der Weg von der Kennzeichnung zum Boykott ist kurz", warnte der Nobelpreisträger Anatol Sharansky.