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Bei der Ergänzung des Artikels 136 des EU-Vertrags ist die Bundesregierung auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Die bekommt sie nur, wenn sie entsprechende EU-Informationspolitik leistet.
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Beim Europäischen Rat Ende März setzten die Regierungschefs den sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) auf Schiene. Es handelt sich um eine hochkomplexe Materie, bei der man mit jeweils guten Argumenten durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann. Ich meine, hier könnte etwas Großes entstehen, mit einem neuen Integrationsschub für die Union: ein Europäischer Währungsfonds.
Seit einem Jahr haben mehrere Staaten der Eurozone erhebliche Schwierigkeiten, sich auf den (privaten) Finanzmärkten zu erträglichen Bedingungen zu refinanzieren. Griechenland wurde in einer Ad-hoc-Aktion mit bilateralen Krediten unter die Arme gegriffen.
Wie die Sache ausgeht, ist offen - meiner Meinung nach ist Griechenland nicht illiquid, sondern insolvent, und eine Schuldenrestrukturierung ist überfällig. Irland wurde über die danach neu geschaffene European Financial Stability Facility (EFSF) geholfen; die EFSF soll in den kommenden fünf Jahren durch den ESM ersetzt werden. Portugal ist der nächste Kandidat - aber die gerade zurückgetretene Regierung sieht sich außerstande, den entsprechenden Antrag bei der EFSF zu stellen; bis zur Klärung der Situation können noch Monate vergehen.
Der ESM soll durch einen Vertrag zwischen den Euro-Staaten eingerichtet werden. Der Beitritt Österreichs wird einer nationalen gesetzlichen Grundlage bedürfen.
Zuvor aber soll der Artikel 136 des EU-Vertrags durch zwei Sätze ergänzt werden. Sinngemäß: Die Eurostaaten können einen "Stabilitätsmechanismus" einrichten, der Finanzhilfen nur unter strengen Auflagen gewähren wird. (Die EFSF hingegen hat keine derartige EU-vertragliche Grundlage.)
Der neue Artikel 136 muss vom Nationalrat mit Zweidrittelmehrheit ratifiziert werden. Die Bundesregierung braucht dafür die Stimmen der Grünen, denn FPÖ und BZÖ haben ihre Ablehnung des ESM, und damit des Artikel 136, schon deutlich gemacht.
Diese Grün-Stimmen stehen nicht auf Abruf bereit. Wir haben mit der Informationspolitik der Bundesregierung derart schlechte Erfahrungen gemacht, dass wir auf der Vereinbarung eines weitreichenden und umfassenden EU-Informationsgesetzes bestehen, bevor der Artikel 136 ins Parlament kommt. Über den sogenannten Euro-Plus-Pakt, ebenfalls eine Vereinbarung des Europäischen Rats von Ende März, gab es nicht eine einzige Vorausinformation seitens des Bundeskanzleramts, obwohl der Artikel 23e der Verfassung dazu verpflichtet.
Ähnliches gilt für das Finanzministerium in Bezug auf den ESM. Das sind keine Bagatellen, denn hier steht nicht weniger als die nationale demokratiepolitische Unterfütterung der nächsten Integrationsschritte der EU (beziehungsweise zunächst der Eurozone) auf dem Spiel. Im Nachhinein zu erfahren - oder auch nicht -, was Kanzler und Finanzminister in Brüssel beschlossen haben, ist keine tragfähige Basis der Europapolitik.
Alexander Van der Bellen ist Nationalratsabgeordneter der Grünen.