Der Mensch, seine Unzulänglichkeiten und sein Egoismus führen zu Staus auf den Straßen, meinen Experten. Alternativen, um Verkehrsstauungen zu entgehen, haben noch Potenzial, ausgeschöpft zu werden.
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Aufstehen und Weggehen das ist Glück, wenn man dann auch noch ein Auto hat, ist das Glück wahrlich perfekt." Das meinte einmal Peter Handke. "Das Problem ist nur", wendet sein Schriftsteller-Kollege Franz Schuh ein, "wenn zu viele dieses Glück beanspruchen, an bestimmten Stellen, zum gleichen Zeitpunkt, haben wir den Stau." Das Freiheitsgefühl werde freilich pervertiert. "Denn wer sich im Stau auch noch frei fühlt, dem ist nicht mehr zu helfen. Politisch müssen das ziemlich gefährliche Leute sein, denn wenn sich jemand in der Unfreiheit frei fühlt, dann ist er doch ein Hauptbeispiel für das politische Übel schlechthin", erklärt Schuh seine Philosophie im aktuellen Magazin des Verkehrsclub Österreich (VCÖ). "Für viele ist ein Stau einfach eine Pause", hat auch ÖAMTC-Stauberater Herbert Thaler beobachtet.
Bei dem Autofahrerclub sind eine Handvoll Stauberater in der Urlaubshochsaison, ab Pfingsten bis etwa Ende August, im Einsatz. Per Motorrad erkunden sie die Straßenabschnitte, an denen es sich staut, und leiten die Information für die Verkehrsdurchsagen im Radio weiter. Sie leisten auch Pannenhilfe, wenn nötig. Und wenn es sich etwa am Nadelöhr Tauernautobahn wieder einmal staut, versorgen die ÖAMTC-Stauberater von Salzburg aus die Autofahrer und speziell die kleinen Passagiere mit Getränken und Spielsachen. Doch was kann man gegen einen Stau tun? "Sehr viel", erklärt der Autofahrer-Vertreter im Gespräch mit dem "Wiener Journal". Viele Autofahrer seien bereits mit einem Navigationssystem unterwegs, sollten dieses "vielleicht aber doch noch besser nützen". Wer ohne Navi unterwegs ist, sollte die gute alte Straßenkarte zur Hand nehmen und studieren. "Man sollte nicht nur die Route kennen, die man fahren will, sondern auch Ausweichstrecken", so Herbert Thaler.
Das Umfahren von Staus lohne sich unterm Strich nicht, fand jedoch der Physiker Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen heraus. Melden Radio oder Navi Stau auf einer Autobahn, fahren 44 Prozent sofort raus. Das sei aber nur ein psychologischer Effekt, weil die Lenker dann den Eindruck hätten, sie kämen rascher vorwärts. Aber wenn lediglich zehn Prozent von der Autobahn abfahren, sei jede Alternativroute schon nach kurzer Zeit dicht, so Schreckenberg. Bleibt die Möglichkeit, eine Urlaubsreise antizyklisch, zum Beispiel an einem Dienstag anstatt am Wochenende, anzutreten, wie Autofahrerclubs raten.
"Die Unzulänglichkeiten der menschlichen Fahrer" seien dafür verantwortlich, dass ein Stau aus dem Nichts entstehe, lautet die Erklärung des Theoretischen Physikers Andreas Schadschneider von der Universität Köln. Wenn jemand zu dicht auffährt oder aus einem anderen Grund zum Abbremsen gezwungen wird und stärker abbremst, als es eigentlich notwendig wäre, um einen Unfall zu vermeiden, entstehe eine Kettenreaktion: Ist die Verkehrsdichte hoch, wird der Fahrer dahinter zum Abbremsen gezwungen, die nachkommenden Autos müssen ebenfalls bremsen. Doch der Verursacher bekomme davon gar nichts mit, der Stau entstehe erst 20 Meter hinter ihm. "Man wird also für sein eigenes Fehlverhalten nicht bestraft und hat somit keinen Anreiz, sein Verhalten zu ändern." Auf längeren Fahrten sollte man deshalb früh genug Pausen einlegen, rät ÖAMTC-Experte Thaler. Andernfalls komme es zu Konzentrationsstörungen: Autofahrer bremsen abrupt ab oder wechseln plötzlich die Spur. Einheitlich fließender Verkehr vermeidet denn auch Staus. Sogenannte Fahrerassistenzsysteme wie der Tempomat zur Regulierung der Fahrgeschwindigkeit helfen dabei. "Je mehr Fahrzeuge mit einem solchen System ausgestattet sind, umso mehr Homogenisierung erreichen wir", glaubt Stauforscher Schreckenberg. Und erklärt das so: "Einige wenige Fahrzeuge, die sich verkehrsgerecht verhalten, führen dazu, dass sich die umgebenden Fahrzeuge daran orientieren und am Ende einen homogenen Verkehrsfluss erzeugen."
Wäre nur der Mensch nicht egoistisch und eitel - zusätzlich zu seiner Unaufmerksamkeit. Zumal als Auto-fahrer. Autofahren ist ohnehin die wahrscheinlich komplexeste Alltagstätigkeit unseres Lebens und besteht aus rund 1500 Untertätigkeiten, schreibt Tom Vanderbilt in seinem Buch "Traffic" (auf Deutsch "Auto - Warum wir fahren, wie wir fahren und was das über uns sagt"). Dessen seien sich Autofahrer aber nicht bewusst. Zudem würden sie sich aus dem Dialog mit dem Fahrzeug und dem restlichen Verkehr ausklinken. Telefonieren, essen, trinken, Musik hören, Haare kämmen, das alles lenkt von der eigentlichen Tätigkeit, auf die sich die Konzentration fokussieren sollte, ab.
Nebenbeschäftigungen im Auto und rücksichtsloses Verhalten zeigen: Der menschlichen Kooperation (nicht nur) auf der Straße sind Grenzen gesetzt. Das fand der Berliner Psychologe Manfred Thüring heraus. Er erwähnt zum Beispiel die höchst individuelle Umsetzung von Vorschriften im Straßenverkehr, wo der Einzelne eher eigenen Regeln folge. Ein Autofahrer wäge zwischen persönlichem Nutzen und dem Risiko, erwischt zu werden ab, um dann zum Beispiel das Tempolimit für sich selbst um zehn Kilometer pro Stunde zu erhöhen. Die maßlose Selbstüberschätzung der durchschnittlichen Autofahrer, die sich für überdurchschnittlich gute Lenker halten, belegen auch Studien in den USA, Frankreich und Neuseeland. Das mag an der Egozentrik, so Psychologe Thüring, unserer Gesellschaft liegen. Nicht um den kollektiven Fahrerfolg geht es den Autofahrern auf der Straße, sondern darum, wie sie sich selbst am besten durchsetzen können.
Vorbild Ameise
"Dem Superorganismus Verkehr würde ein bisschen Ameisenverhalten gut tun", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ). "Würden wir uns nicht mehr egoistisch verhalten, ginge es einigen wenigen schlechter, aber den meisten sehr viel besser", wird der Kölner Verkehrsexperte Andreas Schadschneider zitiert. Auch die französische Biologin Audrey Dussutour bestätigt, dass sich Ameisen im Gegensatz zum Menschen berechenbar und unbewusst zu Gunsten der Allgemeinheit bewegen. Ameisen drängeln weder, noch überholen sie andere. Darum gebe es auf ihren Straßen keinen Stau. Der Hauptunterschied zwischen dem Verkehr von Ameisen und jenem der Menschen sei, dass wir ganz unterschiedliche Ziele haben. "Einige fahren zum Einkaufen, andere zur Arbeit. Die Ameisen haben alle dasselbe Interesse: Sie beschaffen Nahrung für die Kolonie. Sie kooperieren, weil sie ein gemeinsames Ziel verfolgen."
Die Ameisenforschung hat denn auch ergeben, dass die Insekten den höchsten Durchsatz an Individuen pro Streckenabschnitt erzielen, wenn sie alle im gleichen Tempo und in kleinen Trupps unterwegs sind. Von diesen Erkenntnissen haben sich Verkehrsexperten bereits etwas abgeschaut. Wenn viel Verkehr ist, wird etwa in Wien auf der Donauuferautobahn im Kaisermühlentunnel die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 60 Kilometer pro Stunde herabgesetzt, damit der Verkehr besser fließt. Bei Baustellen, die für rund ein Drittel der Staus auf Autobahnen verantwortlich gemacht werden, wird das Prinzip ebenfalls angewendet. Das ideale Tempo für den Straßenverkehr wären überhaupt 30 Kilometer pro Stunde, weil so der größte Durchsatz von Fahrzeugen pro Zeiteinheit möglich wäre.
Dass Autofahrer sich freiwillig brav in angemessenem Abstand zum vorderen Auto und mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit fortbewegen, darauf würden sich Verkehrsexperten jedoch nicht verlassen. Viele können daher den automatischen Sicherheitssystemen wie Anti-Blockier-System (ABS) oder Tempomat etwas abgewinnen. Neuere Fahrzeuge haben sogar einen Abstandsregeltempomaten, der die Geschwindigkeit drosselt, sobald der Wagen zu dicht auf einen anderen auffährt. Doch Stauberater Herbert Thaler hat auch seine Zweifel. Neue Autos etwa von deutschen hochpreisigen Marken seien bereits mit derartigen Sicherheitssystemen ausgerüstet. Er habe sie selbst getestet, erzählt Thaler. Das System funktioniere prinzipiell sehr gut. Doch Autofahrer sollten sich nicht nur auf ein System verlassen. Neuerliche Unaufmerksamkeit beim Fahren könnte die Folge sein. Die Autofahrerclubs appellieren daher einheitlich: "Pausen einlegen und genug Getränke mitnehmen."
Das alles löst aber noch nicht das Problem, dass sich immer wieder Staus bilden und der Straßenverkehr eher zu- als abnimmt. Eine Alternative sind freilich die öffentlichen Verkehrsmittel. Zum Beispiel zur Fortbewegung in einer Stadt. Dass in den Ballungsräumen die Öffis viel leistungsfähiger sind als der Autoverkehr, unterstreicht Christian Gratzer vom Verkehrsklub Österreich folgendermaßen: "In einer U-Bahn sind etwa 300 bis 400 Menschen unterwegs - 300 bis 400 Menschen in Autos, das ist eine mehr als ein Kilometer lange Autoschlange." Hinzu kommt, dass gerade im Pendelverkehr laut VCÖ etwa 110 Pendler mit einhundert Fahrzeugen unterwegs seien. "Das heißt, de facto sitzt nur eine Person - durchschnittlich 90 Kilo - in einem Fahrzeug." Eine ineffiziente Art der Beförderung also. Wie viele andere findet auch der VCÖ, Fahrgemeinschaften seien eine mögliche Variante.
Die Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer, Geschäftsführerin des Wiener Instituts "sicher unterwegs", unterstreicht, dass im englischsprachigen Raum die Menschen leichter auf ihr Auto und auf das Autofahren verzichten. In Österreich und Deutschland sei generell Autofahren emotional stärker besetzt als in anderen Ländern. Doch im englischsprachigen Raum würden Mitfahrgemeinschaften viel mehr angenommen werden. Das reduziere Stau und sei zudem umweltfreundlich. Macht man die Probe aufs Exempel und versucht man, im Internet via www.mitfahrzentrale.at
zu einer Mitfahrgelegenheit zu kommen, erweist sich: Das Angebot ist noch inkomplett, und es gehört schon Glück dazu, um für eine bestimmte Strecke einen passenden (Mit-)Fahrer zu finden.
Lassen sowohl öffentliche Verkehrsmittel als auch Mitfahrgelegenheiten zu wünschen übrig, bleiben, um Stau zu vermeiden, als letzte Alternativen Teleworking, Fernstudium, Online-Shopping und Online-Partnersuche von zu Hause aus. Denn mehr als die Hälfte aller Wegzeiten im Privatverkehr werden heute in der Freizeit absolviert. "Man ist deshalb außer Haus mobil, weil etwas im Haus fehlt", sagt der Wiener Verkehrsplaner Hermann Knoflacher. "Es fehlt ein Arbeitsplatz, es fehlen Lebensmittel, es fehlen Sozialkontakte, oder sie sind nicht befriedigend. Das heißt, die Ursache jeder Mobilität ist der Mangel am Ort - mit der Hoffnung, diesen Mangel am Ziel zu befriedigen." Und dass Menschen gerne den technischen Fortschritt des selbstfahrenden Mobils nützen, ist auch Tatsache. Die Freiheit in der Unfreiheit des Staus nehmen viele einfach in Kauf.