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EU: Alle Blicke ruhen auf Tony Blair

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Risikofaktoren für Einigung: Frankreich und Polen. | Österreich demonstriert Härte. | Insgeheim sind viele bereits jetzt zufrieden. | Brüssel. Vordergründig sieht es schlecht aus. Zu Beginn des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs am gestrigen Donnerstag hagelte es harsche Kritik am jüngsten Vorschlag des britischen Vorsitzes zum Finanzrahmen für 2007 bis 2013.


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"Inakzeptabel" hieß es aus Frankreich, Polen, Österreich, Ungarn, Lettland und Litauen. Auch die meisten anderen Staaten äußerten sich negativ. Klar wurde: Dreh- und Angelpunkt bleiben weitere Zugeständnisse vom amtierenden Ratspräsidenten Tony Blair beim Beitragsrabatt für Großbritannien. Das forderten fast alle Mitgliedsstaaten. Mit den gezielten finanziellen Zugeständnissen, die London den meisten EU-Ländern am Mittwoch gemacht hat, wurde die Kritik unter den Diplomaten aber deutlich leiser. Den neuen EU-Ländern im Osten - besonders auch den Ungarn - gefällt vor allem der flexiblere Zugriff auf die EU-Fördergelder. Lediglich der polnische Premier Kazimierz Marcinkiewicz hielt an seiner Vetodrohung fest. Trotz zusätzlicher Gelder erhalte sein Land pro Kopf die niedrigsten Förderungen der neuen Mitgliedsstaaten, reklamierte er. Sein Außenminister, Stefan Meller und dessen französischer Kollege Phillippe Douste-Blazy bezeichneten das britische Papier in einem gemeinsamen Brief an die "Financial Times" als "keine Basis für eine Einigung". In Brüssel war dagegen zu hören, dass Frankreich zufrieden sei, wenn die Briten mehr als zehn Milliarden Euro von ihrem Rabatt über die gesamten sieben Jahre hergeben würden. Das bisherige Angebot liegt bei acht.

Kritik aus Österreich

Deutlich ablehnend reagierten auch österreichische Spitzenpolitiker. "Nicht akzeptabel und ausgewogen", urteilte Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Statt acht Milliarden Euro wäre es eher fair, wenn London 20 Milliarden mehr für die erweiterte EU zahle. Damit liegt Grasser sogar über der offiziellen französischen Forderung von 14 Milliarden. Landwirtschaftsminister Josef Pröll sieht den neuen Vorschlag für den Bereich Ländliche Entwicklung nach wie vor "sehr, sehr kritisch" (siehe das Gespräch mit der "Wiener Zeitung" unten). In Brüssel heißt es allerdings, dass die Österreicher vor allem bei den neuen Mitgliedsländern massiv für einen Abschluss lobbyierten. Kolportiertes Argument: Es sei nächstes Jahr auch nicht mehr herauszuholen.

Einen Schritt in die richtige Richtung erkennen in dem jüngsten Vorschlag die Niederlande, Schweden und Spanien, die den Kompromissvorschlag der Luxemburger im Juni gemeinsam mit Großbritannien und Finnland blockiert hatten.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt sich auf ihrem ersten EU-Gipfel vorerst bedeckt. Sie erwarte "harte Verhandlungen" und werde "nicht um jeden Preis" abschließen. Klar ist aber, dass die Deutschen besser als unter dem Luxemburger Kompromiss aussteigen und schon damals zugestimmt haben. Merkel schreibt nicht nur der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eine wichtige Vermittlerrolle zwischen London und Paris zu. Sie hat sowohl zu Blair als auch Chirac ein gutes Verhältnis.

Nach ersten Sondierungen beim Abendessen, wollte der Brite in bilateralen Gesprächen bis spät in die Nacht noch die tatsächlichen Schmerzgrenzen ausloten. Nach einem eventuell neuerlich leicht modifizierten Vorschlag soll es dann ab heute Mittag ans Eingemachte gehen. Erst am Nachmittag werden weitere Zugeständnisse beim Briten-Rabatt erwartet. Offiziell will London eine Einigung bis zum Abend erreichen. Verhandelt wird aber sicher bis spät in die Nacht. Und auch für Samstagvormittag hat die britische Delegation vorsorglich schon Dolmetscher bestellt.