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EU als Zukunftsinvestition

Von Martyna Czarnowska, Plovdiv

Europaarchiv

Die Unterzeichnung des Beitrittsvertrags mit der Europäischen Union ändert für die meisten Bulgaren nichts. Die Hoffnung auf ein besseres Leben verknüpfen sie mit der Zukunft ihrer Kinder.


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Offizielle Feierlichkeiten gab es genug. Während aus Luxemburg die Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags mit Bulgarien gestern im Fernsehen übertragen wurde, beging dies Plovdiv, die größte Stadt nach Sofia, mit einer Direktübertragung auf einer Leinwand - und einem Besuch von Finanzminister Milen Velchev. In Veliko Tarnovo, der einstigen Hauptstadt Bulgariens, erstrahlte der mittelalterliche Zarenpalast in den Farben blau und gold. Und im Vassil Levski-Stadion in Sofia ging ein Sportfestival über die Bühne. Schulkinder im ganzen Land hatten frei. Ihre Eltern blicken allerdings oft skeptisch in die Zukunft. Zwar liegt die Zustimmung der Bulgarinnen und Bulgaren zum EU- Beitritt ihres Landes bei 75 Prozent. Doch hält sich bei vielen die Begeisterung in Grenzen.

"Bulgarien ist noch nicht so weit", findet Nikolai. "Vielleicht ist es in 20, 30 Jahren besser." Zu groß seien derzeit die Unterschiede zwischen den EU-Staaten und Bulgarien, wo das Minimumgehalt umgerechnet 75 Euro beträgt und die meisten Pensionisten auch nicht mehr bekommen.

Dass es in seinem Land in den letzten Jahren besser geworden sei, kann der 55-Jährige nicht gerade behaupten. Seit zehn Jahren ist er arbeitslos. Seine Firma produzierte Schreibmaschinen. Doch wer braucht heute noch Schreibmaschinen? Das Werk wurde geschlossen, Nikolai entlassen - gemeinsam mit 3.000 Menschen. Was soll er von der EU erwarten? Einen Job? Mit gemischten Gefühlen sieht auch Nikolais Tochter der baldigen Mitgliedschaft ihres Landes entgegen. "Die Preise werden steigen, die Gehälter aber nicht", meint die 28-jährige Katja, die als Buchhalterin arbeitet. Das sei jetzt schon bei den Grundstücken zu sehen. Mittlerweile dürfen Ausländer in Bulgarien Land erwerben, was die Preise in die Höhe treibt - und den meisten Bulgaren ein Mithalten unmöglich macht. Und auch internationale Unternehmen, die ihre Produktionsstätten in den Osten verlagern, werden ihren Arbeitern nicht viel mehr zahlen als das landesübliche Gehalt, ist Katja überzeugt. Alles andere würde sich nicht rentieren. Dennoch hat Katja nicht vor, Bulgarien auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen zu verlassen - anders als etliche ihrer Altersgenossen. Sie liebe ihr Land, sagt sie. Reisen wuerde sie gern, doch leben möchte sie in Bulgarien. Und das will sie - trotz Vorbehalten - in der Europäischen Union sehen.