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EU-Außenpolitik zwischen Traum und Wirklichkeit

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Die EU-Verfassung, die 105 Frauen und Männer im Konvent ausgearbeitet haben, sieht einige Neuerungen vor, die der Union mehr außenpolitisches Gewicht verleihen sollen. Dazu gehört ein eigener "Außenminister". In diesem wie in anderen Punkten auch hat der Konvent in die USA geschielt. Die Vereinigten Staaten sind einerseits das große wirtschafts- und weltpolitische Vorbild der EU, die sich andererseits von den USA emanzipieren möchte. Wie schnell wird das in der Außenpolitik gelingen?


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EU gibt knapp 80 Mill. Euro Hilfen für Afghanistan frei", "EU unterstützt Kongo-Wiederaufbau mit 80 Mill. Euro", "EU-Kommission hilft Moldawien mit 25 Mill. Euro" - Meldungen wie diese suggerieren eine alte Forderung: Die EU müsse vom global payer zum global player werden. Drastischer formulieren es USA-kritische Europäer, die gerne ein größeres weltpolitisches Gewicht der Union sähen: "Die Amerikaner schicken die Bomben, die Europäer machen die Drecksarbeit - das muss sich ändern." Offiziell beteuern alle EU-Staaten, eine starke Union zu wollen. Allerdings ist die EU nur bis zu jenem Ausmaß mächtig, den die Staatenvertreter, sprich Politiker, zulassen.

Nicht nur rechtliche, auch politische Gemeinschaft

Bei der Aufnahme in die EU gibt ein Land seine Souveränität ab. Mit der Gründung der Union wurde zwar Gemeinschaftsrecht geschaffen, das Vorrang hat vor nationalem Recht - daraus geht aber nicht automatisch eine gemeinsame Politik auf allen Gebieten hervor. Im Gegenteil: In Europa habe es lange Zeit gar kein Interesse an einer gemeinsamen Außenpolitik gegeben, unterstrich etwa der französische Ex-Premier und nunmehrige Europa-Abgeordnete Michel Rocard im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Kritik übte er dabei auch an der Außenpolitik seines Landes. "Großbritannien und die Falklands, Frankreich und das frankophone Afrika, ja auch Deutschland und seine Vereinigung sind nur einige eklatante Beispiele für die unilaterale Politik", meinte Ralf Dahrendorf, ehemaliger Direktor der renommierten London School of Economics, jüngst in der "Financial Time Deutschland".

Die Europäische Union ist gerade dabei, sich eine erste einheitliche Verfassung zu geben. Diese wird sich über die Verfassungen der Mitgliedstaaten stellen - was die bisherigen Regelwerke, lapidar als "Verträge" bezeichnet, auch schon getan haben. In der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) von der Einstimmigkeit, und damit Veto-Möglichkeit, schrittweise zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen - dass dies nicht gelungen ist, wird als eine Hauptschwachstelle des Verfassungsentwurfs gesehen. Zumindest bei integrationsfreundlichen Europa-Politikern und Juristen.

Fix ist, dass die EU einen neuen Außenminister ("Sekretär der Union") bekommen wird. Dieser soll vorerst einen "Doppelhut" tragen: Er wird Mitglied der Kommission und deren Vize-Präsident sein sowie Sitz und Stimme im Europäischen Rat (der Staats- und Regierungschefs) haben.

Zudem wird die Union erstmals eine eigene Rechtspersönlichkeit. Dadurch erhält sie Rechte sowie Pflichten und wird völkerrechtlich haftbar; auch soll so die Vertretung "nach außen" erleichtert werden. Als wahrscheinlich gilt ferner die Installierung eines EU-Präsidentenamtes. Der Vorschlag ist jedoch heftig umstritten unter den Mitgliedstaaten. Ein Außenminister und EU-Präsident stehen alleine aber noch lange nicht für eine gemeinsame Außenpolitik. Dazu müssten beispielsweise Frankreich und Großbritannien ihr Vetorecht bei der UNO, datierend aus der Nachkriegszeit, aufgeben. Diese - aus heutiger Sicht unrealistische - Forderung erhob etwa auch der deutsch-französische Grüne EU-Abg. Daniel Cohn-Bendit. London lehnt darüber hinaus die im EU-Verfassungsentwurf vorgesehene Klausel zur gemeinsamen Verteidigung ab, denn das würde die NATO unterminieren. Genau das vorantreiben zu wollen wird Frankreich unterstellt. Die NATO ist ebenfalls ein Kind der Nachkriegsgeschichte. Das Bündnis werde sich in längstens zehn Jahren überlebt haben, meinen denn auch kritische Stimmen.

Anforderungsprofil sowie Aufgabenbereich des neuen Außenministers - in Abgrenzung zu einem möglichen EU-Präsidenten - sind noch auszuformulieren. Die Politikwissenschaftler Sonja Puntscher-Riekmann von der Universität Salzburg und Heinrich Neisser von der Universität Innsbruck sehen im neuen Außenministeramt jedenfalls einen Fortschritt. Wenngleich Neisser skeptischer ist, bezeichnet er den EU-Verfassungsentwurf als "vernünftigen Kompromiss", der jedoch "kein Meilenstein" sei. Beim Außenminister werde sich "erst im Laufe der Praxis abschätzen lassen, wie mächtig er ist", meint Puntscher-Riekmann. Sie sieht ebenso wie Neisser das Hauptproblem darin, dass die Mitgliedstaaten nicht genug Willens seien, ihre Souveränität in der Außen- und Sicherheitspolitik an die EU abzugeben. Man müsse jedoch zugestehen, dass in den 50 Jahren der Unionsgeschichte Fortschritte erzielt worden seien. "Die GASP ist immer noch die Crux", bringt es Neisser auf den Punkt. "Ein EU-Außenminister ist zwar sehr schön. Aber er ist ein besserer Hoher Beauftragter (derzeit Javier Solana, Anm., siehe unten), so lange sich die Denkweise der Mitgliedstaaten nicht ändert. Und so lange wird die EU nicht weltpolitikfähig sein." Eine Erhöhung der Militärausgaben greift hier wohl zu kurz.

Die Crux der Souveränität

Einen (Wunsch-)Kandidaten und mutmaßlichen Interessenten für das neue Außenministeramt gibt es bereits. Tatsächlich wird vieles von der Person abhängen, die die Funktion ausüben wird. Der deutsche Grünen-Außenminister Joschka Fischer hat für das Amt bereits öffentliche Unterstützung u.a. durch Konventspräsident Valéry Giscard d'Estaing und den amtierenden EU-Ratspräsidenten, Silvio Berlusconi, erfahren. Für EU-Abg. Johannes Voggenhuber wäre sein Parteikollege "ein Neubeginn" in der EU-Außenpolitik, während Javier Solana als "ein Vasall" der US-dominierten NATO anzusehen sei. Fischer selbst gibt sich bis dato freilich diplomatisch und beteuert, gerne Außenminister in Berlin zu sein.

Europa ist seit seiner Befriedung vor einem halben Jahrhundert und der Gründung der Europäischen Gemeinschaften ein work in progress. Es ist anzunehmen, dass auch der neue EU-Außenminister ein post in progress sein wird. Politik ist, wenn man Vaclav Havel zitiert, "die Kunst des Möglichen".