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EU-Bashing zielt daneben

Von Erhard Fürst

Gastkommentare
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung.

Was wir aus der aktuellen Flüchtlingskrise lernen können.


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Die ersten beiden Lehren aus der aktuellen Flüchtlingskrise sind trivial: Die EU braucht eine gemeinsame Flüchtlings- und Immigrationspolitik inklusive der Schaffung von Schutzzonen und Asylantragsmöglichkeiten vor Ort. Die Realisierung hängt allerdings wegen weitgehend fehlender EU-Kompetenz in diesem Bereich vom guten Willen der Mitgliedstaaten ab. Das populäre EU-Bashing richtet sich also an die falsche Adresse; die Verantwortung für die europäische Flüchtlingspolitik liegt im Wesentlichen bei den einzelnen EU-Mitgliedstaaten und nicht bei "der EU".

Zweitens braucht die EU eine gemeinsame Außen- und Militärpolitik und die Bereitschaft, sich in den Herkunftsländern der Asylwerber zusammen mit den wichtigsten Playern politisch, finanziell und militärisch zu engagieren.

Wir lernen auch, dass Quantität in eine neue Qualität umschlagen kann. Die Größe des aktuellen Flüchtlingsstroms pulverisiert EU-Regelungen, wie zum Beispiel Dublin III. (Auch die Maastrichtkriterien haben der Finanzkrise nicht widerstanden.) Die Glaubwürdigkeit der EU wird dadurch neuerlich beschädigt. Dass Ungarn dabei betont, sich bei seiner Flüchtlingspolitik an die Dublin-Regeln zu halten, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie.

Die große persönliche Hilfsbereitschaft der Österreicher darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mehrheit gegen die weitere Aufnahme von Asylwerbern ist. Dies wird spätestens dann deutlich, wenn das einfache Durchschleusen der Menschenmassen nach Deutschland endet. Für die meisten anderen EU-Länder gilt Ähnliches. Daher werden diese über kurz oder lang ihre Asylpolitik wesentlich restriktiver gestalten und die Grenzkontrollen weiter verschärfen. Soll eine Quotenregelung Sinn machen, muss auch die À-la-Carte-Wahl des Asyllandes ein Ende haben. Auch der Familiennachzug wird auf den Prüfstand kommen.

Die Flüchtlingskrise zeigt auch, dass die professionellen Hilfsorganisationen unverzichtbar sind, nicht zuletzt auch um den chaotischen Strom individueller Hilfeleistungen in geordnete Bahnen zu lenken und bürokratischen Immobilismus zu überwinden.

Sie zeigt weiters, dass staatliche Überregulierung nicht nur die Unternehmen stranguliert, sondern auch flexibles Reagieren auf Ausnahmesituationen behindert, wie zum Beispiel die Notwendigkeit der Beschaffung von Unterkünften für große Menschenmengen. Hier müsste die gesetzliche Möglichkeit für befristete Freistellungen von sanitären, feuerpolizeilichen und sonstigen Vorschriften geschaffen werden.

Die Aussage von EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, Europa solle stolz darauf sein, dass alle Flüchtlinge zu uns kommen wollen, ist naiv. Der Zug fährt bereits in die andere Richtung, nämlich Europa weniger attraktiv zu machen und den Zugang zu erschweren. Denn nur auf diese Weise - so paradox es auch klingen mag - können die europäischen Werte langfristig abgesichert werden. Andernfalls werden nämlich politische Kräfte an die Macht kommen, die mit diesen Werten wenig auf dem Hut haben und unser Europa bis zur Unkenntlichkeit verunstalten.