Historiker: Europa muss Demokratie und Modernität verbinden. | Wien. Der Historiker Michael Gehler ist pessimistisch: "Die EU befindet sich in einer Krise, wie sie in dieser Komplexität noch nicht vorhanden war", konstatierte er anlässlich einer Podiumsdiskussion des Österreichischen Institut für Europäische Sicherheit. Geleitet wurde das Gespräch vom Chefredakteur der "Wiener Zeitung", Andreas Unterberger.
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Gehler benannte die Gründe für seine Sorge: Mit der - mittlerweile in Frankreich und den Niederlanden in Volksabstimmungen abgelehnten - Verfassung sei keine umfassende Antwort auf die Osterweiterung gefunden worden. Außerdem seien die 2004 neu hinzu gestoßenen Staaten erst formell vollständige Mitglieder. Qualitativ fehlen ihnen noch viele Kriterien, etwa für die Einführung des Euros, meinte der Europaspezialist.
Der weitere Integrationsprozess könne daher nur Schritt für Schritt vorangehen, aufgrund der immensen Herausforderung sei keine schnelle Lösung zu erwarten. Insgesamt müsse Gehler zufolge die EU aber zu einem attraktiven Großprojekt werden, das im 21. Jahrhundert Modernität und Demokratie verbinde. Auf diesem Wege könne eine europäische Identität bei den Bürgern geschaffen werden.
Zuerst müssten aber die Grenzen gesetzt werden, in welchen die EU ihre Identität finden könne, warf der Jurist Christian Stadler ein. Dabei sei Europa dort, wo die europäischen Werte organisch aus der Kultur kämen, meinte Stadler, der dabei besonders auf Ost- und Mitteleuropa verwies. "Doch wenn diese Werte erst importiert werden müssen, dann befindet sich Europa wieder auf dem Weg des Neokolonialismus", so der Jurist.