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EU-Beistandspflicht: Wiens Vorstoß überrascht in Brüssel

Von Denise von Cles Brüssel

Politik

· Der am Donnerstag bekannt gewordene Punkt in der SPÖ-ÖVP-Koalitionsvereinbarung, bis November 2001 die Verankerung einer gegenseitigen militärischen Beistandspflicht im EU-Vertrag zu | erreichen, hat in Brüssel Überraschung ausgelöst. In EU-Ratskreisen hieß es in ersten inoffiziellen Reaktionen zu dem Entwurf des Regierungsprogramms, das Thema Beistandspflicht sei "derzeit nicht | auf dem Tisch".


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Allerdings stehe es Österreich frei, Vorschläge für die demnächst beginnende Regierungskonferenz der 15 EU-Staaten über eine EU-Vertragsrevision einzubringen.

Der österreichische EU-Botschafter Gregor Woschnagg räumte am Donnerstag gegenüber Journalisten ein, dass die Frage problematisch sei. Der Vorstoß stelle einen innenpolitischen Kompromiss zwischen

ÖVP und SPÖ dar. Er lasse andere Alternativen nach dem November 2001 zu, falls er sich nicht durchsetzen ließe. Woschnagg verwies aber auch darauf, dass dank des Hohen EU-Beauftragten für die

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, eine neue Dynamik in der EU entstanden sei. Österreich werde mit allen seinen EU-Partnern über seine sicherheitspolitischen Vorstellungen

reden müssen.

In schwedischen EU-Diplomatenkreisen verlautete, dass eine Aufgabe der bündnisfreien Politik derzeit ein Tabu-Thema für Stockholm sei. Eine Mehrheit der Bevölkerung sei dagegen. Man sehe aber den

österreichischen Erläuterungen mit Interesse entgegen.

Der EU-Gipfel von Helsinki im Dezember hatte vor allem wegen des Widerstandes der nordischen bündnisfreien EU-Mitglieder Schweden und Finnland ausdrücklich betont, die künftige militärische Rolle der

EU dürfe nicht zur Schaffung einer stehenden Europa-Armee führen.

Bei der Entwicklung einer glaubwürdigen Beistandsgarantie führt aus der Sicht der meisten EU-Staaten kein Weg an der NATO vorbei. Auf einer Einbettung der europäischen Verteidigungspolitik in die

NATO bestehen die "Atlantiker" in der EU, Großbritannien, die Niederlande und Deutschland. Sie lehnen eine Abkoppelung von den USA ab, während Frankreich hier andere Wege gehen möchte. Dänemark und

das neutrale Irland haben ebenfalls Bedenken gegen eine selbstständige EU-Verteidigungspflicht. Ein so weitreichender Schritt, wie ihn jetzt das neutrale Österreich vorgeschlagen hat, habe daher kaum

Aussicht, mit der erforderlichen Einstimmigkeit im EU-Ministerrat angenommen zu werden, sagen skeptische Experten in Brüssel.

In der NATO nahestehenden Kreisen wird die sicherheitspolitische Koalitionsvereinbarung von ÖVP und SPÖ als "unrealistisch" und als Versuch eingestuft, in der innenpolitischen Sicherheitsdiskussion

Zeit zu gewinnen.

Eine gegenseitige Beistandsgarantie bedeute in der Praxis überdies die Aufgabe der Neutralität.