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EU-Beitritt zum Europarat?

Von Roman Fillinger

Europaarchiv

Für welche Werte steht die Europäische Union? Braucht die EU eine Verfassung? Was verbindet die Bürger der EU-Länder? Wie soll das Demokratiedefizit der Union beseitigt werden? Diese Fragen wurden letztes Wochenende bei einer Tagung in Zürich von einem hochkarätigen Panel von EU-Experten aus Politik, Medien und Wissenschaft erörtert. Auf Einladung des International Press Institutes reiste auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in die Schweiz.


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Anlass der zweitägigen Veranstaltung war die vom Europäischen Konvent ausgearbeitete Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Ein letzter Entwurf dieses Dokuments wurde im Oktober in Biarritz vom Europäischen Rat gutgeheißen. Voraussichtlich wird die Charta am EU-Gipfel im Dezember in Nizza proklamiert werden.

Braucht Europa eine Grundrechtscharta?

Heiß diskutiert wurde in Zürich die Frage, ob Europa überhaupt eines weiteren Vertrags zum Schutz der Grundrechte bedarf. Über weite Strecken decken sich die in der Charta verankerten Grundrechte mit jenen, die bereits von der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt werden. Alle EU-Länder sowie die meisten Beitrittskandidaten haben die Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Es sei daher, meinte der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission für Menschenrechte, der Schweizer Rechtsprofessor Stefan Trechsel, in der Tat schwer zu argumentieren, dass die Europäer einen besseren Menschenrechtsschutz brauchten. Trechsel vertrat die Meinung, dass die neu entworfene Charta vor allem dann Sinn mache, wenn sie als Nukleus einer zukünftigen EU-Verfassung gesehen werde.

Vorläufig ist eine EU-Verfassung allerdings Zukunftsmusik. Zunächst stellt sich eine andere Frage: Wird die Charta in den Bestand geltenden EU-Rechts aufgenommen oder bleibt es bei einer feierlichen, letztlich aber unverbindlichen Deklaration? In Zürich war man sich weitgehend einig, daß sich die Staats- und Regierungschefs in Nizza wohl eher für die unverbindliche Variante entscheiden werden. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel dementierte dies nicht, meinte aber, es wäre unvernünftig, wenn die Charta "als Bericht von 65 Weisen" in der Schublade landen würde. Inhaltlich liegt der Hauptunterschied zwischen der neuen Grundrechtscharta und der Menschenrechtskonvention darin, daß sich die Charta in erster Linie an die Organe der EU wendet und nicht an die Mitgliedstaaten. Im Fall einer Grundrechtsverletzung durch die EU könnten einzelne Bürger die Union am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verklagen. Ein vergleichbarer Schutz könnte, so argumentierten mehrere Experten, aber auch dadurch erreicht werden, daß die EU als Ganzes der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrem Hüter, dem Europarat, beitreten würde. In diesem Fall könnten die Unionsbürger Menschenrechtsverletzungen der EU beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg einklagen.

Mit dieser Lösung könnte ein Kompetenzproblem zwischen dem Straßburger Gericht für Menschenrechte und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vermieden werden. Außerdem sei es "eine Verschwendung von Ressourcen," meinte der frühere Generalsekretär des Europarats, der Schwede Daniel Tarschys, "wenn die EU sich mit den gleichen Dingen befasst wie der Europarat."

Schüssel: "Grundsatzdiskussion notwendig"

In seiner Stellungnahme begrüßte Bundeskanzler Schüssel den Entwurf der Charta der Grundrechte und bezeichnete sie als "Schuhlöffel für eine grundsätzliche Diskussion" in der EU. Nur durch eine solche Diskussion könne Europa zu einem "Global Player" werden. Selbstkritisch fügte er an, daß auch Österreich diese Grundsatzdiskussion zu wenig geführt habe. Regierungen würden der Einfachheit halber dazu tendieren sich selbst der Dinge anzunehmen. ("Versuchen sie einmal dem Bürger die Erotik der Stimmgewichtung im Rat nahe zu bringen.") In Zukunft müssten die Bürger aber mehr mitbestimmen können, wohin sich die EU bewege. Die Antwort auf die Frage, wie das konkret durchgeführt werden soll, blieb Schüssel allerdings schuldig.

Wie an der Tagung mehrfach betont wurde, hat eine europäische Grundsatzdiskussion mit dem Problem zu kämpfen, daß bisher kein gemeinsames europäisches öffentliches Forum besteht, in dem eine solche Grundsatzdiskussion geführt werden könnte. Schüssel bedauerte außerdem, daß die Beitrittskandidaten zu den Beratungen über die Grundrechtscharta nicht beigezogen worden seien, obwohl auch diese Länder bald die EU-Werte teilen sollen.

Nachdem die wirtschaftliche Integration Europas inzwischen sehr weit gediehen ist und es nun darum geht, wie die politische Integration bewerkstelligt werden soll, wird das Konzept einer europäischen Verfassung in der näheren Zukunft an Aktualität gewinnen. Die Beschäftigung mit den Grundrechten ist ein notwendiger Bestandteil einer Verfassungsdiskussion. Darüber darf aber nicht vergessen gehen, daß die EU profanere, aber dringendere Probleme zu lösen hat. Insbesondere wird die Europäische Union nicht um den schmerzhaften Prozess herum kommen, transparenter und demokratischer zu werden.