Finanzlücke von 65 Milliarden muss geschlossen werden. | Griechen sollen bei Privatisierungen und Steuern Ruder aus der Hand geben. | Brüssel/Wien. Wieder dramatische Stunden in der Eurozone: Seit Mai 2010 war die Gefahr einer Staatspleite nicht mehr so nah. Ohne frisches Geld kann Griechenland ab Juli keine Löhne, Pensionen oder Zinsen zahlen. Für 2012 und 2013 klaffen große Finanzierungslücken im Athener Budget. Insgesamt ist das Land mit 327 Milliarden Euro verschuldet.
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Die EU bereite deshalb im Stillen ein zweites Hilfspaket vor, um eine Pleite abzuwenden, sagte ein hochrangiger EU-Beamter am Montag in Brüssel. Die Rede ist von 65 Milliarden Euro Finanzbedarf. Davon soll Griechenland allerdings so viel wie möglich selbst stemmen - durch den Verkauf von Staatsbetrieben, höhere Steuern und noch härteres Sparen. Die EU- und Euro-Staaten müssten den Rest finanzieren. Im Gegenzug soll Brüssel jedoch mehr Kontrolle über die Reformen verlangen. Bei den Privatisierungen - 50 Milliarden Euro sollen fließen, das Gesamtpotenzial wird auf 300 Milliarden geschätzt - könnte Griechenland unter Kuratel gestellt werden. Womöglich bietet die EU sogar "Hilfe" beim Steuereintreiben an.
Meldungen über ein EU-Sondertreffen kommenden Montag bezeichnete ein Komissionssprecher als Gerücht. Die nächste reguläre Finanzminister-Tagung findet am 20. und 21. Juni in Luxemburg statt; drei Tage später ist ein Gipfel der EU-Regierungschefs.
EU will im Gegenzug Kontrolle über Politik
Die Währungsunion ist nicht zum ersten Mal ein Getriebener der Ereignisse: Die Finanzmärkte verweigern den Griechen weiterhin Kredite zu leistbaren Konditionen. Und die Auszahlung der Hilfsgelder aus dem im Mai des Vorjahres geschnürten 110-Milliarden-Euro-Paket ist ebenfalls ins Stocken geraten.
Ende der Woche soll die "Troika" in Athen ihren Prüfbericht vorlegen: Diese Dreier-Mission aus Verantwortlichen der EU, der Europäischen Zentralbank und des Währungsfonds (IWF) überprüft derzeit, ob die Griechen die Bedingungen erfüllen, um die nächste Tranche der Hilfskredite zu erhalten. Zwar zeigte sich Finanzminister Giorgos Papakonstantinou am Montag zuversichtlich, die dringend benötigten 12 Milliarden Euro in Kürze zu erhalten. "Wir werden die fünfte Rate bekommen", sagte er im griechischen Fernsehen.
Alle Euro-Akteure sind heillos zerstritten
Das ist freilich alles andere als sicher: Eine "Spiegel"Meldung, wonach Athen die Sparziele samt und sonders verfehlt habe, wurde zwar dementiert. Es gilt aber als fix, dass der Troika-Bericht äußerst kritisch ausfallen wird. Dass Griechenland sein angepeiltes Budgetziel für 2011 von 7,5 Prozent Defizit verfehlt, ist bereits bekannt - laut Prognosen werden es eher 9,5 Prozent sein. Die Akteure der Griechenland-Hilfe sind aber nicht nur deshalb heillos zerstritten.
* EU versus IWF: Die Zwietracht beginnt innerhalb der Troika: Der Währungsfonds - er kommt für 30 Milliarden Euro der ersten Hilfskrediten auf - pocht auf seine Statuten. Demnach muss sicher sein, dass ein Land 12 Monate lang zahlungsfähig bleibt, bevor neue IWF-Hilfen ausbezahlt werden. Da die Sanierung aber länger dauert als ursprünglich geplant, müsse die EU die Lücke von 60 bis 70 Milliarden Euro, notfalls mit weiteren Hilfskrediten, schließen, so die Meinung des Fonds.
* Brüssel versus Athen: Die EU-Länder, welche in der ersten Runde 80 Milliarden Euro Kredite zugesagt hatten, wollen aber ihre Hilfen nicht aufstocken, solange es in Athen keinen Polit-Konsens über weitere Reformen gibt. Das wurde auch in Portugal zur Bedingung gemacht.
* Sozialisten versus Konservative: Athens Parteien schaffen es jedoch nicht mehr, sich auf weitere harte Sparmaßnahmen zu einigen. Premier Giorgos Papandreou von den regierenden Sozialisten (Pasok) schaffte es am Wochenende nicht, die Opposition auf weitere Ziele zu verpflichten. "Denkt nicht einmal an Steuererhöhungen", konterte Antonis Samaras, Chef der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia. Er pocht sogar auf Steuer-senkungen und will eine Flat-tax von 15 Prozent für Unternehmen. Nur so komme die Wirtschaft in Gang.
* Volk versus Regierung: Unterdessen versagt die Bevölkerung ihren Politikern zusehends die Gefolgschaft. Streiks stehen auf der Tagesordnung. Seit fast einer Woche versammeln sich täglich zigtausende reformmüde Griechen, um vor dem Parlament zu demonstrieren. "Diebe, Diebe", hallte den Politikern am Wochenende von den Demonstranten entgegen.
*Nord- versus Süd-
europa. **Auch in den Ländern, welche die Hilfskredite finanzieren müssen, schwindet die Geduld - zumal Rechtspopulisten genüsslich auf der Klaviatur von EU- und Euro-Feindlichkeit spielen. In der größten Gebernation Deutschland, aber auch in den Niederlanden oder Finnland formiert sich Widerstand. Österreich trägt bisher einen Anteil von 1,2 Milliarden Euro an den Griechenland-Krediten.
* Europäische Zentralbank versus EU-Politik: Während Politiker wie Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker in den letzten Wochen immer öfter mit einer Umschuldung Griechenlands liebäugeln, ist die Position der Zentralbanker in Frankfurt glasklar: Eine Restrukturierung der Schulden kommt nicht in Frage. Besonders deutlich wurde EZB-Direktor Lorenzo Bini Smaghi: "Die Finanzmärkte spielen schon verrückt, wenn ein Wort wie Restrukturierung oder sanfte Umschuldung nur erwähnt wird. Das beweist, dass so etwas nicht geordnet funktioniert", sagte er zur "Financial Times".
Freiwillige Beteiligung der Gläubiger hilft kaum
Will die EU keine Marktpanik mit unabsehbaren Folgen für Europas Banken riskieren, bleibt ihr wenig anderes übrig, als weitere Kredite für Athens Neuverschuldung bereitzuhalten und die Altschulden zu refinanzieren.
Allenfalls könnte sie Gläubiger griechischer Schuldpapiere bitten, fällige Anleihen freiwillig zu verlängern. Das würde zwar keine Finanzmarktpanik auslösen. Besonders erfolgversprechend wäre es aber auch nicht.