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EU-Bericht warnt vor Terrorgefahr

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

De Kerchove setzt auf multilaterale Kooperation. | Rekrutierung von Terroristen in Gefängnissen. | Brüssel. Der letzte schlimme Terroranschlag in der EU ist schon eine Zeit her. Nach den Attentaten auf die Londoner U-Bahn vom 7. Juli 2005 konnten größere Verbrechen verhindert werden. Die letzten beiden öffentlich bekannt gewordenen Anläufe offenbar islamistisch motivierter Täter in Deutschland blieben erfolglos. Doch die Gefahr sei keineswegs gebannt, warnt der EU-Anti-Terrorkoordinator Gilles de Kerchove in seinem Bericht, den er den EU-Innenministern heute, Donnerstag, vorlegt.


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Besonderer Fokus müsse auf die Sahel-Zone und Pakistan gelegt werden, heißt es in dem internen Papier, das der "Wiener Zeitung" vorliegt. Auch die Rekrutierung von Nachwuchsterroristen in Gefängnissen werde zunehmend ein Problem.

"Die Al Kaida im Islamischen Maghreb wird mehr und mehr zu einem Problem in ganz Europa", schreibt De Kerchove. In Österreich ist die Gruppe spätestens durch die mehr als acht Monate dauernde Geiselhaft der beiden Salzburger Andrea Kloiber und Wolfgang Ebner ein Begriff. Schon 2003 war eine Urlaubergruppe mit zehn Österreichern in ihre Gewalt geraten.

"Wir müssen die fragilen Sahel-Staaten wie Niger und Mali ausrüsten, damit sie in der Lage sind, dieser Bedrohung zu begegnen, bevor diese sich in diesem Gebiet verwurzeln kann", verlangt der Anti-Terror-Koordinator. Diese Länder gehörten zu den ärmsten der Welt und seien mit einer "explosiven Mischung von Sicherheitsproblemen" wie organisiertem Verbrechen im Drogen-, Waffen- und Menschenschmuggel konfrontiert. Eine Ausbreitung der Maghreb-Al Kaida über bereits bestehende Verbindungen in die EU müsse verhindert werden; vor allem die avisierte Anti-Terror-Zusammenarbeit mit Algerien und Marokko müsse endlich in konkrete Operationen münden.

Paradies für Konvertiten

Die Bedrohung aus dem atomar hochgerüsteten Pakistan sei "erheblich und mehrdimensional", findet De Kerchove. Sowohl die EU als auch das Land selbst seien davon betroffen. Innerhalb Europas seien "entwurzelte pakistanische Jugendliche" ein Nährboden für den Terrorismus. Der bedrohe gleichzeitig die europäischen Interessen in Pakistan und Afghanistan. Für die pakistanische Regierung nur äußerst schwer erreichbare Gebiete "bieten einen Zufluchtsort für entfremdete Europäer, die sich dorthin begeben haben, um Terrorist zu werden." So zieht es immer mehr Konvertiten in die von lokalen Stammesführern beherrschten Nordwestprovinzen wie Waziristan, die mehr oder weniger offen mit den Taliban in Südafghanistan kooperieren.

Zuletzt haben die deutschen Behörden bundesweit erfolglos nach dem Saarländer Eric Breininger gefahndet, weil sie befürchteten, er komme mit konkreten Anschlagsplänen aus einem der Terroristenausbildungs camps zurück. Auch der mutmaßliche Kopf der sogenannten Sauerlandgruppe, Fritz Gelowicz, war in Pakistan, bevor er beim Zusammenmischen von hunderten Kilogramm Sprengstoff festgenommen wurde, mit denen er offenbar Anschläge in Deutschland plante.

Andere Probleme liegen geographisch noch viel näher: So habe sich zunehmend herausgestellt, dass den "Al-Kaida-Anführern ihre Propagandaanstrengungen ebenso wichtig sind wie der bewaffnete Kampf", heißt es in dem Bericht. Beides ist freilich eng verwoben.

Besonders in den Gefängnissen habe sich die Radikalisierung und Rekrutierung unter den Häftlingen als neues Phänomen herauskristallisiert. Dabei streicht De Kerchove ein Handbuch für Justizwachebeamte positiv hervor, das von Österreich, Deutschland und Frankreich gemeinsam ausgearbeitet wurde. Sein Inhalt soll nicht öffentlich werden; er umfasst praktische Alltagstipps gegen Radikalisierung wie die Zusammenlegung bestimmter Häftlinge, die Ausübung der Religion, der Zugang für Imame und Besucher, die Nutzung von Medien und Telefonen und die Vorbereitung auf das Leben nach der Entlassung. Das Handbuch solle künftig möglichst EU-weit zur Anwendung kommen, empfiehlt der Koordinator.

Finanziell austrocknen

Um die Finanzquellen des Terrors auszutrocknen, müsse der "mögliche Missbrauch karitativer Organisationen" als Kanal für Geldflüsse in den Terrorismus verstärkt unter die Lupe genommen werden, findet De Kerchove. Und beim Datenaustausch bei Europol-Untersuchungen des Internets nach extremistischen islamischen Webseiten gibt es noch ein ganz besonderes Anliegen: Die zu strenge Auslegung von Datenschutzvorschriften hindere die EU-Polizisten daran, Dokumente ins gemeinsame Webportal zu stellen, die den Namen Osama bin Laden enthalten. Grund: Es handle sich um eine personenbezogene Angabe.