Paris verspricht volles Programm trotz Irland-Nein. | Rettung des Lissabonner Vertrags als Knackpunkt. | Brüssel. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hatte sich seinen heute, Dienstag, beginnenden EU-Vorsitz wohl anders vorgestellt. Bereits seit Monaten überschlug er sich ohne viel Rücksicht auf die Slowenen im EU-Chefsessel mit stets neuen Ankündigungen, welche Neuerungen Frankreich für die Union bis Ende des Jahres finalisieren werde.
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Doch nun muss er sich in erster Linie um die Rettung des Lissabonner Vertrags kümmern, nachdem Irland ihn per Referendum abgelehnt hat. So führt ihn seine erste Auslandsreise als EU-Vorsitzender Ende nächster Woche gleich einmal nach Dublin, um Ansatzpunkte für einen Weg aus der drohenden Reformstarre zu sammeln. Konkrete Szenarien werden vor dem Sommer aber nicht mehr erwartet, erst im Oktober soll die öffentliche Debatte wieder aufgenommen werden.
Und Sarkozy will sich trotz der Zusatzaufgabe nicht bremsen lassen: Die Umsetzung der ehrgeizigen Klimaschutzziele sollen spätestens im Dezember unter Dach und Fach sein. Ein Migrationspakt soll die EU gegen illegale Einwanderung abschotten und gemeinsame Mindeststandards für die legale Zuwanderung schaffen. Eine Reform der milliardenschweren gemeinsamen Landwirtschaftsförderpolitik, deren Hauptnutznießer Frankreich ist, soll fertig verhandelt werden.
Misstrauen in Brüssel
Maßnahmen gegen die hohen Öl- und Nahrungsmittelpreise werden anstrebt. Trotz bereits zweimaliger Absage der EU-Kollegen beharrt Frankreichs Präsident auf die Kappung der Mehrwertsteuer auf Erdölprodukte. Die gemeinsame Verteidigungspolitik der Union soll vorangetrieben werden - ein Vorhaben, das vor allem im neutralen Irland skeptisch betrachtet wird.
Die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien sollen beschleunigt, jene mit der Türkei fortgesetzt werden. Sarkozys Parole "Keine Erweiterung ohne Lissabonner Vertrag" dürfte somit vorerst keine Auswirkungen auf die Arbeit während des EU-Vorsitzes haben.
Der EU-Kommission ließ Europa-Staatssekretär Jean-Pierre Jouyet indes gleich einmal ausrichten, sie solle "flexibler und weniger dogmatisch sein". Einigen EU-Kommissaren fehle es an Fingerspitzengefühl.
In Brüssel wird das eher umgekehrt gesehen: Neben dem umfangreichen Programm erzeugt auch die zu erwartende Amtsführung der Franzosen gewisses Misstrauen. So hat Paris bereits durchblicken lassen, sparsam mit Übersetzungen in die beiden anderen EU-Arbeitssprachen Englisch und Deutsch umgehen zu wollen. Dabei hat Englisch vor allem seit der letzten Erweiterung deutlich an Gewicht gewonnen; bei den Regierungschefs und Ministern der neuen Länder ist Französisch nicht so verbreitet. Sogar französische Diplomaten sollen Schnellschüsse aus Paris zu wichtigen politischen Themen ohne viel Vorabstimmung mit den EU-Kollegen fürchten.
Ein erster Lackmustest für so ein vorerst einseitig lanciertes Projekt wird der Startschuss für die sogenannte Mittelmeer-Union, den Sarkozy für den 13. Juli in Paris anberaumt hat. Nach deutlicher Kritik von Spitzenpolitikern aus den südlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten bleibt offen, wer an der feierlichen Zeremonie teilnimmt. Sprengstoff birgt vor allem die gemeinsame Beteiligung Israels und einer Reihe arabischer Länder, die eine Anerkennung des jüdischen Staates vermeiden wollen.