Europäische Richter definieren den Beginn des Lebens mit der Befruchtung.
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Luxemburg/Wien. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat der Stammzellenforschung in Europa eine Grenze gezogen. Diese erscheint hart - und widersprüchlich. Nach dem Grundsatzurteil dürfen Verfahren, die auf der Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen beruhen, nicht zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung patentiert werden. Da für deren Gewinnung Embryonen zerstört würden, verstoße dies gegen den Schutz der Menschenwürde, stellte der EuGH am Dienstag in Luxemburg klar.
Embryonale Stammzellen stammen aus jenen wenige Tage alten Embryonen, die aus der künstlichen Befruchtung übrig sind und nicht in den Mutterleib eingesetzt werden. Sie sind noch nicht auf eine bestimmte Aufgabe festgelegt und können sich noch zu allen der 220 Zelltypen des Körpers entwickeln. Diese Eigenschaft macht sie für die Medizin so wertvoll. Ihre Nutzung ist jedoch umstritten, weil die frühen Embryonen bei ihrer Gewinnung zerstört werden.
Rechtsstreit um Verfahren
Das Urteil beruht auf einer weit gefassten Auslegung des Beginns des Lebens. Demnach handelt es sich selbst bei befruchteten Eizellen rechtlich um Embryonen und somit um menschliches Leben. Der Gesetzgeber wolle jede Möglichkeit der Patentierung ausschließen, sobald die Menschenwürde beeinträchtigt werden könnte: "Insofern ist jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an als menschlicher Embryo zu sehen, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen", so der EuGH.
Der Entscheidung war ein Rechtsstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Bonner Neurobiologen Oliver Brüstle vorausgegangen. 2004 hatte Greenpeace Klage gegen ein 1999 erteiltes Patent auf embryonale Stammzellen eingereicht, die der Forscher zur Behandlung neurologischer Krankheiten wie Parkinson einsetzen wollte, sowie auf die Methode zu ihrer Herstellung.
Brüstle betonte am Dienstag, das patentierte Verfahren beinhalte weder eine Verwendung von Embryonen noch die Gewinnung von embryonalen Stammzellen, sondern gehe von etablierten embryonalen Stammzelllinien aus, die international erhältlich seien und an denen in Deutschland gearbeitet werden dürfe.
Die europäische Biopatentrichtlinie schützt den menschlichen Körper in den Phasen seiner Entwicklung. Das Grundsatzurteil unterbindet mögliche Milliardengeschäfte mit Biomedizin. Begrüßt wurde es von Greenpeace und von der Aktion Leben. Für Christoph Then von Greenpeace schreibt das Urteil "europäische Rechtsgeschichte." Der Gerichtshof habe den Schutz menschlichen Lebens gegenüber wirtschaftlichen Interessen gestärkt.
Für Wissenschafter bedeutet das Urteil jedoch einen schweren Rückschlag für die Stammzellenforschung in Europa. In den USA haben Pharmafirmen die Erlaubnis, Medikamente auf der Basis von embryonalen Stammzellen zu testen. "Die Frage ist, ob es nun zu einer Wanderbewegung von Forschern kommt. Solche Gesetze brauchen einen globalen Weitblick - es geht nicht, dass nur andere Länder von heimischen Forschern profitieren", sagt Christiane Druml, Vorsitzende der Österreichischen Bioethik-Kommission.
"Mit dieser Entscheidung werden die Früchte jahrelanger Forschung europäischer Wissenschafter weggewischt und dem außereuropäischen Ausland überlassen. Europäische Forscher dürfen Grundlagenforschung betreiben, die dann andernorts in medizinische Verfahren umgesetzt wird, welche letztlich wieder nach Europa importiert werden, betont der von dem Urteil Betroffene Brüstle. Ob denn nun die europäische Pharma-Forschung weniger in die Stammzellenforschung investieren werde, weil ihre Profit-Aussichten zerrinnen, wollte man bei der Vereinigung der Pharmaindustrie in Österreich (Pharmig) nicht beantworten.
Der Philosoph Peter Kampits befürwortet zwar grundsätzlich das Verbot der Patentierung, ortet jedoch Widersprüche in den Aussagen der Europa-Richter: "Einerseits betont der Gerichtshof, dass er nicht dazu aufgerufen sei, auf Fragen medizinischer oder ethischer Natur einzugehen, sondern die Richtlinie juristisch auszulegen. Doch eine Entscheidung, wann das Leben beginnt, ist nicht juridischer, sondern ganz klar ethischer Natur", sagt Kampits. Zudem überlasse der EuGH es den Nationalstaaten, eigene Rechtsstreite selbst zu regeln.
Kein Ei des Columbus
In Österreich ist die Erzeugung von embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken verboten. Allerdings dürften die Zellen (wie in Deutschland) zu Forschungszwecken importiert werden. Sie werden in zahlreichen europäischen Staaten aus überzähligen befruchteten Eizellen gewonnen, die im Rahmen der künstlichen Befruchtung in großen Mengen entstehen. Mittlerweile stehen weltweit mehrere hundert solcher Zelllinien zur Verfügung.
Für den Wiener Fachhumangenetiker Markus Hengstschläger sind embryonale Stammzellen allerdings nicht das Ei des Columbus. Ihr Einsatz sei nämlich auch deswegen gefährlich, weil sie eine Neigung hätten, Krebs entstehen zu lassen: "A la longue werden die embryonalen Stammzellen daher selten die besten Zellen für Therapien sein. In der medizinischen Therapie sind adulte Stammzellen der große Sieger. Seit Jahrzehnten werden etwa Blutstammzellen in Transplantationen gegen Leukämie eingesetzt, oder Hautstammzellen bei Hauttransplantationen nach Brandwunden."