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Warnung vor Kollaps der Pensionssysteme. | Europa verzeichnet OECD-weit längste Ruhestandszeiten. | EU regt einheitliche Pensionsstandards an. | Brüssel. Was den meisten schon seit langem dämmert, präsentiert die EU-Kommission heute, Mittwoch, schwarz auf weiß: Weil wir immer älter werden, müssen wir künftig länger arbeiten. Sonst werden wir keine Pensionen mehr erhalten, von denen wir uns ein menschenwürdiges Leben leisten können - oder die ohnehin schon wegen der Wirtschaftskrise überstrapazierten Staatsfinanzen platzen endgültig aus den Nähten. | Hundstorfer: Pensionsalter wird nicht angehoben
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Davor warnt Sozialkommissar Laszlo Andor in seinem neuen Diskussionspapier für "nachhaltige, angemessene und sichere Pensionen", dessen Entwurf die "Wiener Zeitung" vorab erhielt. Darin werden mögliche Harmonisierungsschritte für Pensionen auf EU-Ebene angedeutet.
Für einen Automatismus
Denn: "Wir sind an einem kritischen Punkt, weil die ersten Jahrgänge der Baby-Boomer das Pensionsalter erreichen und die arbeitende Bevölkerung daher ab 2012 zu schrumpfen beginnt", heißt es in dem Papier, das im letzten Moment noch um Nuancen verändert werden könnte. Als Ergebnis werde sich die Abhängigkeit der Rentner von den Einzahlern in das Pensionssystem verdoppeln: Während heute vier Werktätige auf einen Über-65-Jährigen kommen, werden es 2060 nur noch zwei sein. Die jungen Menschen treten wegen längerer Ausbildungszeiten immer später in den Arbeitsprozess ein, während die älteren immer noch häufig vor dem vorgesehenen Alter von 65 Jahren ausscheiden.
Durch die Wirtschaftskrise erhält das Problem noch weitere Brisanz: Private Pensionsfonds, die als alternative Absicherung zur staatlichen Säule dienen sollen, haben im Schnitt mehr als 20 Prozent ihres Wertes eingebüßt.
Auch wenn in Andors Dokument noch keine konkreten Vorschläge gemacht werden, so finden seine Beamten doch klare Worte dafür, was sie für die richtigen Maßnahmen halten: "Eine automatische Anpassung des Pensionsalters an die künftigen Zuwächse der Lebenserwartung sind eine vielversprechende strategische Option." Mehrfach verweisen sie in Fußnoten auf einen Bericht von Experten der Mitgliedstaaten, in dem der Vorteil eines solchen Schritts erläutert wird: "Die Grundidee dahinter ist die Übertragung der Entscheidung von der politischen auf die rechtliche Ebene", heißt es dort. Den heiklen Punkt der Anhebung des Pensionsalters könnte man sich so bei künftigen Reformen ersparen.
Österreich auf Platz zwei
In einer internen Besprechung soll sich Wirtschaftskommissar Olli Rehn dafür ausgesprochen haben, den Aspekt der automatischen Anpassung noch etwas schärfer zu formulieren.
Das dürfte der EU-Kommission auch deshalb wichtig sein, weil die Pensionszeiten in der Union weltweit zu den längsten gehören. So gehen die Franzosen und die Österreicher laut OECD-Statistik am frühesten von allen in Pension (siehe Grafik). Mit knapp 59 Jahren Rentenantritt bleiben den Pensionisten im Schnitt noch knapp 24 Jahre im Ruhestand.
Fast ein Drittel ihres Lebens befänden sich EU-Bürger in Pension, heißt es in Andors Papier - mit steigender Tendenz: "Dass sich diese Zeit im Vergleich zur aktiven Arbeitszeit nicht erhöht, würde ein angemessenes und finanzierbares Pensionssystem unterstützen." Die Japaner gehen laut OECD bei einer Restlebenserwartung von gut 13 Jahren erst mit knapp 70 in Rente, Koreaner haben bei ihrem Austritt aus dem Arbeitsleben mit mehr als 71 Jahren gerade noch 9,6 Jahre übrig. Der OECD-Schnitt liegt in etwa wie die USA bei 63,5 Jahren Pensionsantritt und 18,1 Ruhestandsjahren.
Im Dokument der Kommission wird anerkannt, dass einige Länder wegen der Wirtschaftskrise und der dadurch notwendigen Eindämmung der Staatsverschuldung bereits Pensionsreformen geplant haben. So wollen Frankreich, Deutschland und Italien ihr Renteneintrittsalter anheben. Ungarn und Portugal koppeln das Pensionsalter an die wirtschaftliche Entwicklung. Auch Griechenland, Irland und Spanien haben im Zuge ihrer Sparpläne die Notbremse bei der Altersversorgung gezogen. Und das Diskussionspapier wolle nicht in die Pensionshoheit der Mitgliedsländer eingreifen, schreiben die EU-Beamten.
EU-Rahmen zersplittert
Doch sei der EU-Rahmen für den Bereich "zersplittert und unvollständig" und könnte daher "nicht mehr ausreichend" sein, was als Hinweis für die Lancierung von neuen einheitlicheren Regeln am Rentensektor verstanden werden kann.
Denn die Grenzen zwischen Sozialversicherungen und Privatpensionen, verpflichtenden und freiwilligen Beiträgen würden zunehmend verschwimmen - wofür einschlägige EU-Gesetze gelten, werde immer unklarer. Eine Neudefinition des Begriffs "Pension" könnte nötig sein. Und als weitere Ideen werden Garantiefonds für Rentner, deren Firmenpensionen wegen Pleiten wertlos werden, und verschärfte Haftungsregeln für Pensionsfonds nach dem Vorbild der Versicherungen angeregt.