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Wien - Zum Thema "Die Grenzen Europas" diskutierten im "Republikanischen Klub" in Wien der SP-EU-Abgeordnete Hannes Swoboda, die Autorin Trautl Brandstaller, Rubina Möhring von "Reporter ohne Grenzen", der Autor Milo Dor und Otmar Lahodynsky vom "profil". Alle Teilnehmer wiesen auf die Notwendigkeit einer erweiterten EU hin, machten aber auf beunruhigende Entwicklungen innerhalb wie außerhalb der Gemeinschaft aufmerksam.
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Hannes Swoboda ging in seinem Redebeitrag zunächst auf die laufende Erweiterung der Europäischen Union ein. Diese werde von einigen Kräften in Österreich "heftig bekämpft", allerdings nicht direkt, sondern via Atomkraftwerk Temelin und die Benes-Dekrete. "Wenn es diese beiden Punkte nicht wären, dann wär es eben etwas Anderes", gab sich Swoboda über die wahren Motive der FPÖ illusionslos.
Populisten in Ost und West
Der SP-Mandatar wies allerdings auch auf andere Vorbehalte in Hinblick auf die EU-Erweiterung hin: Vielerorts werde befürchtet, dass rechtspopulistische Tendenzen in Osteuropa, verkörpert durch Politiker wie den slowakischen Ex-Premier Vladimir Meciar oder den katholisch- antisemitischen polnischen Radiosender "Radio Mariya" samt politischem Flügel, den bestehenden Tendenzen nach Rechts innerhalb der EU neuen Auftrieb geben könnten. "Europa nimmt diese Entwicklung nicht wirklich ernst", kritisierte Swoboda.
Pessimistisch äußerte er sich zur Möglichkeit einer baldigen Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Türkei. Die Türkei habe es bisher "nicht verstanden, europäische Verantwortung zu übernehmen", vielmehr tanze sie "der EU auf der Nase herum". Swoboda illustrierte diese Aussage mit einem Verweis auf Ankaras Minderheitenpolitik: Es ergebe sich hier die paradoxe Situation, dass der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache zwar per Verfasung erlaubt sei, einzelne Gesetze aber die Umsetzung verbieten.
Otmar Lahodynsky vom "profil" beklagte, dass Österreich in Bezug auf die laufende EU-Erweiterung "viel Kapital verspielt" habe. Österreich sei innerhalb der EU zunächst als eine "ungeheure Bereicherung für die Erweiterung" angesehen worden, jetzt gelte man als "Bremser". Verzögernd wirkten nicht nur einige FPÖ-Politiker, sondern auch ÖGB und Arbeiterkammer. Diese hätten sich von ihrer Maxime: Beitritt der Kandidaten erst nach Erreichung von 80 Prozent Lohniveau immer noch nicht verabschiedet. Aber auch auf der Seite der Kandidatenländer sieht Lahodynsky die Notwendigkeit eines Umdenkprozesses: Er es gebe hier oft die Ansicht, die EU verfüge über einen "Kuchen", der in möglichst großen Stücken zu verteilen sei.
Bis nach Wladiwostok
"Ohne Russland gibt es kein Europa", brach der Schriftsteller Milo Dor eine Lanze für zukünftige Erweiterungsschritte: Die Aufklärung als gemeinsames geistiges Fundament sei einst bis nach Petersburg vorgedrungen, folgerichtig müsste Europa "bis nach Wladiwostok reichen", so Dor. In diesem Zusammenhang rief er auch zu weitgehender finanziellen Unterstützung für die Beitrittskandidatenländer auf: "In großen Familien gibt es immer auch Ärmere", so Dor, "ihnen wird normaler weise unter die Arme gegriffen".
Enttäuschung vielerorts
Trautl Brandstaller, Autorin des Buches "Die Donau fließt nach Westen", kritisierte die "fatale Auswirkung des Neoliberalismus" auf Osteuropa. Ihrer Einschätzung nach würden etwa zehn Prozent der Bevölkerungen von den neuen ökonomischen Gegebenheiten profitieren, 30 Prozent seien "sehr verarmt", der Rest kämpfe "gegen das Abrutschen". Viele Intellektuelle seien enttäuscht, dass sich der Westen als ein "Europa der Banken und Buchhalter" darstelle. Fazit: "Der Abstand zwischen Ost und West ist in den 90-er Jahren größer geworden". Brandstaller warnte vor den sozialen und politischen Folgen dieser Entwicklung, die jetzt schon in "Revisionismus und Antisemitismus". Die auseinanderklaffende Schere zwischen Ost und West wird laut Brandstaller in einem - allerdings weniger erfreulichen - Punkt überwunden: Rechtsnationale Kräfte in Osteuropa würden sich immer wieder auf ihr westliches "Vorbild" FPÖ und Jörg Haider berufen.