)
Verstoß gegen Grundrecht der Freizügigkeit. | Vorwurf der Diskriminierung vom Tisch. | Brüssel. Frankreich muss im Roma-Streit mit einem EU-Verfahren wegen der Verletzung der Grundfreiheit der Personenfreizügigkeit von EU-Bürgern rechnen. Das hat die EU-Kommission nach fast zweieinhalb Stunden schwierigen Beratung am Mittwoch grundsätzlich beschlossen. Gegen die De-facto-Diskriminierung der Roma hat sie keine Handhabe mehr, seit die französische Regierung zugesagt hat, alle EU-Bürger gleich zu behandeln. | Analyse: Roma, Österreicher und Polen - in der EU gibt es Gleiche und Gleichere
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Um den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy nicht zu sehr zu brüskieren, bekommt Paris zudem eine Gnadenfrist bis 15. Oktober, um die Prozedur noch abzuwenden. Dafür müsste die französische Regierung "einen Entwurf von Umsetzungsmaßnahmen und einen detaillierten Zeitplan für die Umsetzung" nach Brüssel schicken.
Derzeit erfüllt Frankreich die EU-Personenfreizügigkeitsrichtlinie, mit der das Grundrecht präzisiert wird, nach Ansicht der Kommission nicht. Damit ist das Land allerdings in guter Gesellschaft. Bei mindestens zehn weiteren Ländern hat die Kommission ebenfalls Zweifel, ob alle Bestimmungen der Richtlinie korrekt umgesetzt sind. Daher teilte die Brüsseler Behörde mit, dass wohl auch andere Staaten mit Mahnschreiben zum Thema rechnen müssen - allerdings erst ein Monat nach den Franzosen.
Beide Seiten sollenGesicht wahren können
Mit dieser Gratwanderung sucht die Kommission offenbar eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung im Streit um die massenhaften Abschiebungen von Roma aus Frankreich zu finden. Paris hatte bereits erklärt, mit seinen Maßnahmen keine bestimmte ethnische Minderheit treffen zu wollen. Ein Runderlass des Innenministeriums vom 5. August hatten die Behörden zwar angewiesen "in erster Linie gegen Roma" vorzugehen. Als diese Dienstanweisung an die Öffentlichkeit gelangte, wurde sie durch eine neue ersetzt, die sich nicht mehr direkt auf Roma bezieht.
Im Wesentlichen bezieht sich Frankreich bei seinen Ausweisungen darauf, dass die betroffenen Personen länger als die laut Richtlinie erlaubten drei Monate im Land seien und weder ein ausreichendes Einkommen noch eine Krankenversicherung haben und/oder die öffentliche Sicherheit stören. Das EU-Gesetz sieht freilich vor, dass jeder Einzelfall genau geprüft werden muss. Familiäre, finanzielle und gesundheitliche Umstände stehen einer Ausweisung nach dem Geist der Richtlinie häufig entgegen.
Das Vorgehen der EU-Kommission ist die Konsequenz einer erbitterten Auseinandersetzung mit Frankreich, die durch einen Auftritt von Grundrechtskommissarin Viviane Reding ausgelöst worden war. Nach dem Bekanntwerden des diskriminierenden Runderlasses hatte sie das französische Vorgehen als "Schande" bezeichnet und indirekt Parallelen zum Vorgehen der Nazis im Zweiten Weltkrieg gezogen.
Nach dem Beschluss am Mittwoch teilte die französische Regierung mit, die Forderungen aus Brüssel prüfen zu wollen. Man sei erfreut, dass die Kommission zur Kenntnis genommen habe, dass die Maßnahmen nicht auf eine spezielle Minderheit zielten. Um nicht-französische EU-Bürger - wie die Roma - künftig leichter abschieben zu können, plant Einwanderungsminister Eric Besson aber schon einmal ein neues Gesetz.