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EU erhöht Druck auf die Türkei

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

EU-Kommission sieht wenig Reformfortschritte. | Serbien rückt der EU unterdessen Mini-Schritt näher. | Brüssel. Die EU-Kommission erhöht den politischen Druck auf die Türkei, endlich Reformen in Richtung Meinungsfreiheit anzupacken. Nach den "politischen Turbulenzen" um die Präsidenten- und Parlamentswahlen im Land müsse der Reformprozess jetzt wiederbelebt werden, forderte Erweiterungskommissar Olli Rehn gestern, Dienstag. Vor allem sei es "inakzeptabel", wenn in einer Demokratie kritische Journalisten, Schriftsteller und Akademiker strafrechtlich verfolgt würden.


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Der mittlerweile berühmt-berüchtigte Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzes, der für die Beleidigung des Türkentums mit Haftstrafen droht, müsse "unverzüglich aufgehoben oder abgeändert" werden. Ansonsten könnten die Beitrittsverhandlungen für den zentralen Bereich "Justiz und Grundrechte" nicht gestartet werden, sagte Rehn.

Das sei allerdings nichts neues, hieß es hinter vorgehaltener Hand: Für die Eröffnung dieses schwierigen Verhandlungskapitels müssten noch zahlreiche weitere Voraussetzungen erfüllt werden - nämlich Polizei- und Justizreform, Eindämmung der Korruption sowie Fortschritte bei den Frauen- und Minderheitenrechten. Und im vergangenen Jahr konnte Brüssel generell kaum Reformfortschritte in der Türkei ausmachen, wie die "Wiener Zeitung" berichtete. Etwa die weiterhin mangelnde zivile Kontrolle über die zu mächtige Armee bleibt ein wichtiger Kritikpunkt.

Verständnis für Kampf gegen die PKK

Verständnis zeigte Rehn dagegen in der gegenwärtigen Krise im Grenzgebiet zum Irak: Die Türkei "leidet unter den terroristischen Angriffen der PKK" und müsse ihre Bürger schützen. Er appellierte jedoch eindringlich an Ankara, die Lösung eher in enger Zusammenarbeit mit dem Irak und nach den Regeln des Völkerrechts zu suchen, als in einer militärischen Invasion. Welche Folgen diese für die Beitrittsgespräche haben könnte, wollte der finnische Kommissar nicht spekulieren.

"Große Herausforderungen und erhebliche Risken" sehe er auch für den Weg der Staaten des Westbalkans in Richtung EU, sagte er. Vor allem die Klärung des Status des Kosovo, eine Staatsreform in Bosnien-Herzegowina und die Entwicklung der Demokratie in Serbien machten ihm Sorgen. Immerhin kündigte er an, Belgrad einen weiteren Mini-Schritt näher an die Union heranzuholen: Das bereits im September fertig verhandelte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) soll heute, Mittwoch, in Brüssel paraphiert werden. Denn die serbische Regierung habe seine Zusammenarbeit mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verbessert. Es handle sich um einen "Wendepunkt" für Serbien, meinte Rehn. Schließlich handle es sich bei dem Abkommen um den "Zugang zum Kandidatenstatus". Bis zur formellen Unterzeichnung muss Belgrad freilich endlich noch die "volle Kooperation" mit Den Haag unter Beweis stellen. Dafür müsste vor allem der immer noch flüchtige Ex-General Ratko Mladic gefasst werden. Ihm wird die Hauptverantwortung für das Massaker in Srebrenica 1995 an gut 8000 muslimischen Zivilisten zur Last gelegt.

Allgemein wird vor allem die weit verbreitete und strukturelle Korruption am Westbalkan kritisiert, gegen die bisher nicht ausreichend vorgegangen werde. Allfällige Beitrittsverhandlungen im politisch nicht ausreichend stabilen Kandidatenland Mazedonien noch im Jahr 2008 seien einzig und allein von möglicherweise noch erfolgenden Reformfortschritten abhängig, sagte Rehn. Nur Kroatien steche positiv hervor und sei trotz schwieriger anstehender Reformen eine Wegmarke für die Region.