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EU-Erweiterung als Glaubwürdigkeitsfrage

Von Johannes Hahn und tefan Füle

Gastkommentare

Die EU-Kommission hat ihre jährliche Bewertung der Erweiterungsagenda der Europäischen Union vorgelegt. Darin umreißt sie den aktuellen Stand der Heranführung, künftige Herausforderungen und den Weg, den die westlichen Balkanstaaten, die Türkei und Island vor sich haben. Die EU-Erweiterungspolitik ist ein Paradebeispiel dafür, wie große Herausforderungen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Chancen für ein sichereres und florierendes Europa bieten.


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Nehmen wir die westlichen Balkanstaaten: Vor zehn Jahren galt diese Region noch als Ort der Zerstörung und Verzweiflung. Heute kann sie aufgrund einer klaren Perspektive für einen möglichen EU-Beitritt Frieden und Stabilität festigen. Die Beitrittsperspektive erleichtert die regionale Zusammenarbeit und bringt diplomatische Lösungen für bilaterale Fragen. Auch die Türkei, eine selbstbewusste Regionalmacht, unternimmt konkrete Schritte, um ihre laizistische Demokratie an EU-Normen anzunähern. Island hat sich in der Finanzkrise für das Stabilitäts- und Solidaritätsmodell der EU entschieden.

Damit der Erfolg nicht bröckelt, muss die EU-Erweiterungspolitik glaubwürdig bleiben. Glaubwürdigkeit ist die harte Währung, die wir investieren müssen, damit Beitrittsanwärter einen Anreiz haben, ihre Reformen wesentlich tiefgreifender und umfassender anzusetzen, als sie es sonst erwogen hätten.

Glaubwürdigkeit muss in beiden Richtungen funktionieren. Unsere Glaubwürdigkeit beruht darauf, den Gründungsverträgen treu zu bleiben und unsere Türen jedem Land in Europa, das unsere Grundwerte teilt, offen zu halten. Unsere Glaubwürdigkeit ist daran zu messen, inwieweit wir sicherstellen können, dass neue Mitgliedstaaten erst dann in die EU aufgenommen werden, wenn sie die hohen Anforderungen voll und ganz erfüllen. Sie brauchen dabei die Gewissheit, sich im schwierigen Reformprozess auf unsere Hilfe verlassen zu können.

Die Glaubwürdigkeit der Beitrittsanwärter wiederum erwächst aus ihrem klaren Engagement für EU-bezogene Reformen. Nur wenn sie Fortschritte im eigenen Land verzeichnen, können sie auf ihrem Weg in die EU auch Ergebnisse in Brüssel erzielen. Die letzten Erweiterungsrunden haben gezeigt, das wir dabei uneingeschränkte Transparenz brauchen: Beitrittsanwärter müssen genau wissen, was wir von ihnen erwarten. Daher gibt es feste Kriterien. Unsere Aufgabe ist es, ihnen zu helfen, unser Modell zu übernehmen, und ihre Fortschritte zu beobachten.

Die Bundesregierung spielt eine führende Rolle im EU-Erweiterungsprozess. Während die Kommission rein technisch gesehen den gesamten Prozess lenkt, liegt die Entscheidung ganz bei den 27 EU-Mitgliedstaaten, deren uneingeschränkte Zustimmung notwendig ist. Letztlich ist die Qualität des Beitrittsprozesses der beste Garant dafür, dass wir mit unserer EU-Erweiterungspolitik die Erwartungen der Bürger hinsichtlich der daraus erwachsenden Vorteile erfüllen können.

Johannes Hahn ist EU-Kommissar für Regionalpolitik, tefan Füle ist EU-Kommissar für Erweiterung.