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EU-Erweiterung ist keine Solidaritätsveranstaltung

Von Heike Hausensteiner, Michael Schmölzer

Europaarchiv

Zufrieden mit den Kompromissen, die die 15 EU-Staaten vergangene Woche in Nizza erzielten, geben sich von offizieller Seite vor allem die Beitrittskandidaten aus Osteuropa und die großen Mitgliedsländer. Sie haben sich mit der Sitzverteilung in den EU-Gremien ihren Einfluss gesichert. Deshalb hätte auch Österreich härter verhandeln sollen und habe nur oberflächlich betrachtet einen Erfolg errungen, meinen Kritiker. Sie - unter ihnen die Gewerkschaften und Arbeiterkammer - urgieren sozialpolitische Maßnahmen zur EU-Integration.


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Die Beschäftigungsquote soll von derzeit 61 Prozent bis 2010 auf 70 Prozent erhöht werden. Die Erwerbsquote der Frauen (51 Prozent) soll auf mehr als 60 Prozent steigen. Darauf hat sich der Europäische Rat im Frühjahr in Lissabon festgelegt. Die "Sozialagenda" ist nun vom EU-Rat in Nizza genehmigt worden.

Seit 1997 ist die Beschäftigungsquote von 60,7 auf 62,1 Prozent gestiegen, die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als acht Prozent. Im Vergleich dazu sind in Österreich etwa 3,5 Prozent erwerbslos (nach EU-Berechnung, die alle - selbstständige und unselbstständige Erwerbstätige - als Basis nimmt) bzw. 5,9 Prozent der unselbstständigen Erwerbspersonen (nationale Berechnung).

Dem stehen die Zahlen in den Beitrittsländern gegenüber: Die Arbeitslosenrate liegt zwischen acht Prozent (Ungarn) und 14 Prozent (Polen, im Winter 30 Prozent). Um möglichen negativen Entwicklungen der EU-Integration vorzugreifen, soll es daher konkrete Übergangsregelungen geben. Das forderte der Delegationsleiter der SP-EU-Abg., Hannes Swoboda, bei der SP-Konferenz "Sind wir bereit für die Erweiterung der Europäischen Union?". In den Grenzregionen sollten Betriebe angesiedelt und die Infrastruktur ausgebaut werden, ruft Swoboda die Bundesregierung zum Handeln auf.

Österreich ist mit 1.300 km EU-Außengrenze zu Tschechien, Ungarn, Slowakei und Slowenien das von der Osterweiterung am meisten betroffene EU-Land. Der heimische Arbeitsmarkt wird vor allem mit den zahlreichen Pendlern in die Grenzregionen fertig werden müssen. Nach Prognosen der Akademie der Wissenschaften ist mit 150.000 Tages-, Wochen- und Monatspendlern pro Jahr zu rechnen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) rechnet zu Beginn der Erweiterung mit einer Arbeitsmigration von 40.000 Zuwanderern in Österreich.

Damit sind aber auch "moderate positive Beschäftigungseffekte" verbunden. Das habe sich schon nach der Ostöffnung gezeigt, führt Peter Maierhofer vom Wifo ins Treffen. Die Osterweiterung sei also "keine altruistische Solidaritätsveranstaltung", sondern bringe auch Vorteile für Österreich. Laut Prognosen der Wirtschaftsforscher soll das BIP bis 2010 um 1,3 Prozent steigen, zusätzlich soll es 10.000 Beschäftigte mehr geben. Wie sich die Freizügigkeit der Arbeit tatsächlich auf den Markt auswirken wird, sei aber noch ein blinder Fleck.

Die Vorwürfe Swobodas, die Regierung würde zu wenig für die von der Pendlerproblematik betroffenen österreichischen Grenzregionen unternehmen, wies die Delegationsleiterin der ÖVP im Europäischen Parlament, Ursula Stenzel, umgehend zurück. EVP-Vorsitzender Hans Pöttering meinte, Swoboda solle nicht um des "kleinlichen innenpolitischen Vorteils" willen "wahrheitswidrig" argumentieren. Den von Gewerkschaftsseite geforderten "Übergangsfristen" bei der EU-Osterweiterung standen beide Politiker eher ablehnend gegenüber. Es bestehe die Gefahr einer regelrechten Inflation an diesen Bestimmungen, meinte Stenzel sinngemäß.