Wien - Zigarettenschmuggel, Zucker-, Fisch- und Handy-"Karusselle". Durch Umgehung der staatlichen Abgabenpflichten erzielen Kriminelle jährlich Milliardengewinne. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) ist angetreten, der Wirtschaftskriminalität einen Strich durch die Rechnung zu machen. Damit die Betrugsbekämpfung auf europäischer Ebene effizienter wird, braucht es nach Meinung von Experten allerdings mehr: Einen EU-Finanzstaatsanwalt zum Beispiel.
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"Wenn ich heute Zigaretten auf den Mond schicke und wieder zurück, und sie dann nach England schmuggle, mache ich wegen der hohen Besteuerung dort noch immer einen Gewinn", bringt es OLAF-Generaldirektor Franz-H. Brüner auf den Punkt.
Da sich die Einnahmen der EU auch aus Zöllen, Agrarzöllen, Zuckerabgaben und Mehrwertsteuerbeträgen zusammen setzen, geht bei jeder derartigen Steuerhinterziehung nicht nur dem einzelnen Staat, sondern auch der Union Geld verloren. Ein weiteres Betätigungsfeld der EU-Institution ist die Kontrolle der Subventions-Vergabe: 100 Mrd. Euro betrage das EU-Budget, rechnet Brüner vor, 95 Prozent dieser Gelder würden in Form von Subventionen wieder an die Länder zurückfließen, die das Geld dann an die Förderungswerber verteilen. Stellt OLAF fest, dass die Gelder widmungswidrig verwendet wurden, muss der Staat das Geld an Brüssel zurückbezahlen.
Subventionen zurückzahlen
Dabei sind die 350 Mitarbeiter der EU-Behörde auf die Mithilfe der innerstaatlichen Justiz angewiesen. OLAF kann nur auf einen möglicherweise kriminellen Sachverhalt hinweisen. Im innerstaatlichen Strafverfahren treten die OLAF-Beamten dann als sachverständige Zeugen auf. Eine eigene Jurisdiktion kommt dem europäischen Amt nicht zu. Direkte Folge davon sei, dass jene Mitgliedsstaaten, wo die Justiz besonders langsam arbeitet, "Milliarden-Euro-Beträge schuldig sind", erklärt Brüner. Führend in dieser Hinsicht - so wird kolportiert - soll übrigens Italien sein, wo teilweise Urteile von Fällen aus den 70er Jahren noch ausständig sind. Beste Waffe im Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität ist laut Brüner die internationale Kooperation der Justiz- und Ermittlungsbehörden. In seinem Vortrag bei der Richtertagung in Ottenstein vorige Woche machte sich der Deutsche für einen EU-Finanzstaatsanwalt stark - eine Idee, die nicht nur bei österreichischen Richtern auf Sympathie stößt. Auch die europäische Richtervereinigung befürwortete den Vorschlag in einer Stellungnahme.
EU-Ankläger umstritten
Bis spätestens 2012 könnte der EU-Ankläger eingerichtet sein. "Allerdings nicht wie eine Krake, die mit ihren Tentakeln innerstaatliche Verfahren durchwühlt und überall in Europa Anklage erhebt", beruhigt Brüner, sondern so, dass der EU-Finanzstaatsanwalt nationalen Anklagebehörden die Prüfung einer Verfahrenseinleitung aufträgt. Das Verfahren selbst soll wie bisher nach innerstaatlichem Recht ablaufen.
Skeptisch gibt sich Roland Miklau vom Justizministerium, der dafür plädiert, die Prävention voranzutreiben, Mehrwertsteuersätze und Zölle zu vereinheitlichen: "Es ist kein Zufall, dass diejenigen Politiker, die am weitesten von der Praxis entfernt sind, vom europäischen Staatsanwalt am begeistertsten sind". Statt neue EU-Behörden zu schaffen, sollte eine Vereinheitlichung von Straf- und Strafprozessrecht angestrebt werden, erklärt der Sektionschef.