Einstimmigkeit in Bereichen Justiz und Inneres soll fallen. | Möglichkeit einer "Notbremse". | Brüssel. Sämtliche EU-Beschlüsse über die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Bereich Justiz- und Innere Sicherheit müssen einstimmig getroffen werden. Das hätte der Verfassungsvertrag geändert. Doch bis zu dessen Verwirklichung will Franco Frattini trotz erbittertem Widerstand einiger Mitgliedsstaaten nicht warten.
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Der für Justiz und Innere Sicherheit zuständige Kommissar wird heute, Mittwoch, Vorschläge präsentieren, wie die Vetomöglichkeit einzelner EU-Länder für den intensivierten Kampf gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Kinderpornografie rascher ausgeschalten werden kann. Dafür möchte Frattini, dass die Mitgliedsstaaten die so genannte Passerelle-Klausel aus dem derzeit gültigen Vertrag von Nizza aktivieren.
Diese Überbrückungs-Klausel erlaubt es der einstimmigen Mehrheit der EU-Justiz- und Innenminister, die notwendige Einstimmigkeit in vielen Bereichen ihres Zuständigkeitsbereiches für die Zukunft aufzuheben. Die Minister müssten EU-weit bindenden Maßnahmen dort dann nur noch mit qualifizierter Mehrheit zustimmen, zusätzlich darf aber das Europäische Parlament mit entscheiden.
Zugeständnis
Er sei bereit, diesen Schritt vorerst einmal auf die wichtigsten Bereiche zu beschränken, sagte Frattini der "European Voice". Um kritischen Ländern wie Deutschland oder Irland entgegenzukommen, will der Kommissar auch die Möglichkeit einer Notbremse einräumen. Überstimmte Mitgliedsländer könnten gegen Mehrheitsentscheidungen bei den Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschef berufen.
Das Problem liegt aber im Falle Deutschlands tiefer. Denn die Aktivierung der Passerelle-Klausel müsste auch von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten abgesegnet werden. Und der Bundestag in Berlin hat den auf Eis liegenden Verfassungsvertrag schon ratifiziert. Durch Frattinis Trick würden Teile dieses Verfassungsvertrags vorweg genommen, argumentieren die Deutschen. Jegliches Rosinenpicken, das eine Verfassungslösung erschwere, wollen sie verhindern. Schon die Erwähnung der Passerelle-Klausel in den Beschlüssen der EU-Staats- und Regierungschefs von Mitte Juni hatte Berlin hinausreklamiert.
Auch Österreich beschränkt sich auf stärkere Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres. Von der Abgabe von Kompetenzen hält Wien aber nicht viel. Finnland, das Anfang Juli den EU-Vorsitz übernimmt, will dagegen die Entwicklung in Richtung Mehrheitsentscheidung vorantreiben. "Wir glauben, dass jeder davon profitieren würde, wenn wir die Entscheidungsfindung verbessern", sagte der finnische EU-Botschafter Eikka Kosonen.
"Konsequenzen ziehen"
Unterdessen hat Frattini die europäischen Staaten aufgefordert, Konsequenzen aus den bekannt gewordenen Verschleppungen mutmaßlicher Terroristen durch die CIA in Europa zu ziehen. Die Regierungen müssten den Aktivitäten der Geheimdienste Grenzen setzen. Zuletzt waren Indizien aufgetaucht, dass europäische Geheimdienste der CIA bei Verschleppungen geholfen haben.