Beraterin der EU-Kommission sieht keine negativen Folgen für Mensch und Tier. | Greenpeace empört.
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Brüssel/Wien. Es ist eine Ansage mit politischer Sprengkraft, mit der Anne Glover unmittelbar vor der Sommerpause der EU-Institutionen in Brüssel aufwartet. Anne wer? Bislang sorgte die seit Anfang des Jahres amtierende höchste wissenschaftliche Beraterin der EU-Kommission für wenig Aufsehen. Nun lässt die Molekularbiologin beim in Österreich hochsensiblen Thema Gentechnik aufhorchen: "Negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie auf die Umwelt konnten bisher in keinem Fall gezeigt werden. Das ist ein recht eindeutiger Beweis und ich traue mich zu sagen, dass es nicht riskanter ist, gentechnisch veränderte Lebensmittel zu essen als konventionell angebaute", so Glover in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit dem Nachrichtenportal "EurActiv".
Bei Greenpeace schrillten sogleich alle Alarmglocken. Niemand könne die Auswirkungen auf Menschen seriös bewerten, kritisiert Dagmar Urban, Expertin der Organisation, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Für sie gebe es viele sehr gute Gründe für die Ablehnung der Gentechnik. So seien in Südamerika die ökologischen Folgen verheerend: Die Flächen müssten wesentlich intensiver bewirtschaftet werden, umweltschädliche Pestizide würden in großen Mengen eingesetzt und resistente Unkräuter entwickelten sich rasant auf Gentech-Feldern.
Rund 91.000 Hektar gentechnisch veränderter Mais sind EU-weit angebaut, nicht einmal ein Prozent aller Ackerflächen in der Union. In Österreich sowie sechs weiteren Staaten - Deutschland, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Luxemburg und Bulgarien - besteht ein Anbauverbot für sie Sorte MON 810 des Agrarriesen Monsanto. Eine europäische Position ist in weiter Ferne, einzelne Länder, allen voran Spanien, bauen bereits an. "Gentechnik ist keine Option für die österreichische Landwirtschaft", stellte Umweltminister Niki Berlakovich auf Anfrage der "Wiener Zeitung" am Dienstag klar.
"Sehr verallgemeinernd"
Fehlenden Daten und ausstehenden Langzeitstudien sind für Experten und Politiker die Hauptgründe, bei den Auswirkungen von Gen-Food auf die Verbal-Bremse zu steigen. Unter Wissenschaftlern wird daher die Deutlichkeit Glovers mit Verwunderung quittiert: "Das ist sehr verallgemeinernd", sagt Michelle Epstein. Sie fällt dieses Urteil, obwohl die Forscherin der MedUni Wien im März eine europaweite Studie vorgelegt hatte, in der keine gesundheitlichen Folgen durch genetisch veränderte Organismen festgestellt wurden.
Obwohl sich die oberste Wissenschaftlerin der EU-Kommission auf ihre Expertise beruft und sich als streng überparteilich einschätzt, könnten es politische Motive sein, die hinter ihrer Lanze für die Gentechnik stehen. "Glover soll die Kommissions-Position verstärken, nicht die Wissenschaft", meint Greenpeace-Expertin Dagmar Urban. Harte Kritik, die - in milderen Tönen - vom Umweltbundesamt unterstrichen wird. Demnach stehe die Kommission Gentechnik "grundsätzlich nicht so kritisch wie Österreich" gegenüber.
Blinde Gefolgschaft vor der Lobby großer Gentechnik-Konzerne kann jedoch selbst der Kommission nicht nachgesagt werden. Vergangene Woche wies EU-Gesundheitskommissar John Dalli die Anträge für den Anbau dreier Gentech-Maissorten zurück und forderte eine neuerliche Überprüfung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Die drei Sorten produzieren ein Gift, um sich vor Insekten zu schützen; eine von ihnen ist das bereits erlaubte MON 810, dessen Zulassung jedoch abgelaufen ist. Bis zum Ende des Untersuchungsverfahrens dürfen die Pflanzen jedenfalls weiter angebaut werden.
Angesichts des schwierigen Marktumfeldes kehrten Agarkonzerne Europa bereits den Rücken; BASF verlagerte sein Biotech-Forschungszentrum von Deutschland in die USA. Bauern aus den Vereinigten Staaten bewirtschaften 43 Prozent aller jener Felder weltweit, Brasilien und Argentinien folgen mit großem Abstand. Häufigst angebaute Genpflanzen sind Soja und Mais. Rentabel seien Gen-Pflanzen lediglich in "hochindustrialisiert-großflächigem Umfeld", so Andreas Heissenberger; Österreich zähle nicht dazu. Selbst in Tschechien, wo höhere Erträge möglich sind, sei Gen-Food ein Verlustgeschäft, denn es werde von den Konsumenten nicht angenommen, erklärt der Forscher des Umweltbundesamts.
Weitere von der EU-Wissenschaftlerin vorgebrachte Argumente wie Ressourcenknappheit und internationaler Druck werden von den befragten Experten als weniger wichtig angesehen - nicht jedoch Glovers Infragestellung des "Vorsorgeprinzips", nach dem sich Risikoabschätzungen richten. Dieses sei auf international anerkannte Bewertungsart. Das Prinzip "vom Tisch zu wischen ist politisch zweifelhaft" für Heissenberger.