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EU fürchtet Flüchtlingswelle

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Politik

Bis zu 1.000.000 illegale Immigranten werden erwartet. | Brüssel. Die EU sieht sich der schwersten außenpolitischen Krise seit 20 Jahren gegenüber. Nach längerer Diskussion konnten sich die Außenminister bei ihrem Treffen am Montag dazu durchringen, die gewaltsame Unterdrückung der Demonstrationen in Libyen ausdrücklich zu verurteilen. Laut dem deutschen Außenstaatsminister Werner Hoyer bedeute das die Abkehr von der Unterstützung des massiv unter Druck geratenen Machthabers Muammar Gaddafi. "Wir haben keine Veranlassung, ein solches Regime zu stützen", sagte er.


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Gaddafi hatte zuvor mit der Einstellung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der illegalen Immigration aus Nordafrika über das Mittelmeer gedroht, falls die EU Partei für die libysche Opposition ergreife. Bisher hatte Libyen zahlreiche Flüchtlinge abgefangen. Laut einem umstrittenen Abkommen mit Italien wurden Boote mit potentiellen Asylwerbern zudem ohne viel Aufsehen von den libyschen Behörden auf hoher See zurückgenommen.

Doch nicht nur die EU-Kommission fürchtet eine massive Flüchtlingswelle aus Nordafrika. In EU-Kreisen ist von potentiell mindestens 500.000 Menschen die Rede, die versuchen könnten die EU über das Mittelmeer zu erreichen, wenn Libyen kollabiert. Auch bis zu eine Million illegale Immigranten wurden nicht ausgeschlossen.

Aufrüstung der Grenze

Dagegen mutet die Landung von gut 5000 Flüchtlingen aus Tunesien auf der italienischen Insel Lampedusa letzte Woche geradezu harmlos an. Sie war der Auslöser für eine neue Schwerpunktaktion der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die am Wochenende vor Nordafrika angelaufen ist. Doch wenn Libyen kollabiere, werde es mit einer reinen Aufrüstung der Grenzüberwachung wohl nicht mehr getan sein, hieß es in Diplomatenkreisen. Daher werde das Thema auch das Treffen der Innenminister am Donnerstag dominieren.

Vor allem den südlichen Mitgliedstaaten am Mittelmeer macht das Flüchtlingsthema schweres Kopfzerbrechen. Italien, Malta und Zypern sollen auch lange massive Probleme mit einer eindeutigen Verurteilung der Vorgänge in Libyen gehabt haben. Vor allem der italienische Regierungschef Silvio Berluconi pflegte ein enges politisches Verhältnis zum libyschen "Revolutionsführer" Gaddafi.

"Wir können nicht viel tun, solange die Waffen sprechen", sagte der tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg. "Wir wissen nicht, welche Seite gewinnt und ob die Einheit Libyens erhalten bleibt." Bis zum nächsten Treffen der Außenminister im März soll ein "umfassendes Transformationspaket" für die Region geschnürt werden. EU-Außenministerin Catherine Ashton hatte zuvor eine Art EU-Marshall-Plan für Nordafrika und den Nahen Osten angeregt.