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EU-Gegner an der Macht

Von Florian Hartleb

Gastkommentare
Florian Hartleb ist Politikwissenschafter und -berater und lehrt an mehreren Universitäten. Er lebt in Tallinn in Estland.

In Estland wird die homophobe und migrationsfeindliche "Estnische Konservative Volkspartei" der neuen Regierung angehören.


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Am Sonntag versammelten sich etwa 10.000 Esten, um am Ort der "Singenden Revolution" für ein weltoffenes Estland zu demonstrieren. Als Symbol dient ein Herz. Was ist passiert? Seit der Parlamentswahl Anfang März herrscht Hochstimmung am rechten Rand: Die homophobe und migrationsfeindliche "Estnische Konservative Volkspartei" (EKRE) erzielte mit 17,8 Prozent der Stimmen ihr bisher bestes Ergebnis und konnte die Zahl ihrer Abgeordneten fast verdreifachen - von sieben auf 19.

Dennoch sah alles danach aus, dass die liberale Partei als Wahlsiegerin mit Kaja Kallas, der Tochter des ehemaligen Premierministers und EU-Kommissars Siim Kallas, die Premierministerin stellen würde. Wer, wie der Autor, diese Meinung auch in dieser Zeitung vertrat, hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn der bisher regierende Ministerpräsident Jüri Ratas hat, ohne das amtliche Endergebnis abzuwarten, bereits am Wahlabend signalisiert, weiter an der Macht bleiben zu wollen, obwohl seine Partei, die Zentrumspartei, nur den zweiten Platz hinter der Reformpartei belegt hat. Dazu wäre er sogar bereit, einen Koalitionspakt mit EKRE einzugehen.

Die Partei wird nun zusammen mit der Mitte-rechts-Partei Isamaa der neuen Regierung angehören. Nicht nur das: Die Partei wird mit Innen- und Finanzministerium Schlüsselressorts besetzen, in Person von Vater und Sohn Helme. Ähnlich wie einst die Le Pens beim Front National treten die beiden stets gemeinsam auf. Der Vater Mart war Zeitungsverleger und von 1995 bis 1999 estnischer Botschafter in Russland. Mit seinen polarisierenden Äußerungen schafft er es nicht nur, Wähler zu gewinnen, sondern er ist auch in den estnischen Medien ein gern gesehener Partner für Interviews, in denen er seine homophoben, rassistischen und nationalistischen Ansichten ausbreiten kann. Der Sohn Martin wiederum meinte unlängst in einem Interview, ob Migranten aus Nigeria oder der Ukraine kämen, mache keinen Unterschied. "Der Punkt ist, dass sie keine Esten sind."

Das Netzwerk der Helmes ist groß: Es reicht von Internettrollen bis hin zum Chefredakteur der größten Tageszeitung "Postimees". Bei EKRE-Versammlungen etwa gegen Migration fungieren die paramilitärischen "Soldiers of Odin" als Parallelpolizei zu Zwecken der "Sicherheit". Im Zuge der Flüchtlingskrise wurden sie in Finnland gegründet; gerade erst machten sie durch einen Übergriff auf den Politiker Timo Soini während des Wahlkampfs von sich reden.

Im neuen Parlament sitzt auch der Chef der Jugendorganisation, Ruuben Kaalep. Der erst 25-Jährige, der sich offen als Identitärer bekennt und als Faschist zu bezeichnen ist, bewundert Martin Sellner und reist auf rassistische und antisemitische Kongresse von den USA bis zur Ukraine. Ein anderer führender Protagonist, Jaak Madison, der vor Schwarzen warnt, besucht regelmäßig den Burschenschaftsball in Wien.

Ziel der EKRE ist, gemeinsam mit der FPÖ und der Lega Nord ein Bündnis nach der Europawahl zu schmieden. Dabei will EKRE eigentlich die Europäische Union verlassen.