Rehn will Ende der "exzessiven Frühpensionen". | Kritik an müdem Konsolidierungskurs. | EU-Gipfel im Juni entscheidet über Vorgaben. | Brüssel. Die Samthandschuhe hat die EU-Kommission offensichtlich abgelegt. In ihren jüngsten "Empfehlungen" zur Reform der Wirtschaft und Finanzen geht sie mit Österreich hart ins Gericht.
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Die Pläne zur Budgetkonsolidierung seien unzureichend und basierten zum Teil auf spekulativen Annahmen; Bildung und Gesundheitswesen seien nur zwei Bereiche, in denen eine Verwaltungsreform (Bund und Länder) längst überfällig sei. Die zu hohe Belastung der Arbeit durch Steuern und Sozialabgaben schade dem Arbeitsmarkt.
Das teilen die EU-Strategen der österreichischen Regierung mit, und verlangen Gegenmaßnahmen binnen 12 bis 18 Monaten. Dazu gehöre auch der Abbau der "exzessiven Frühpensionierungen", sagte Wirtschaftskommissar Olli Rehn am Dienstag.
Bei dem ungewöhnlich deutlichen EU-Papier handelt es sich um die Bewertung der Reform- und Konsolidierungspläne, welche Österreich im Rahmen des sogenannten Europäischen Semesters nach Brüssel gemeldet hat. Dieses neue Instrument soll nach der Finanz- und Wirtschaftskrise dazu beitragen, dass alle Mitgliedstaaten ihren Teil zur besseren Wettbewerbsfähigkeit und Entschuldung der Union beitragen. Beim EU-Gipfel am 24. Juni sollen die Staats- und Regierungschefs die Empfehlung verabschieden und sich damit politisch zur Einhaltung derselben verpflichten.
Einnahmen optimistisch
Sanktionen gibt es im Falle der Nichtbefolgung zwar nicht. Doch setzt Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso darauf, dass die Spitzenpolitiker der Mitgliedstaaten sich an ihre Zusagen halten.
Rehn forderte Österreich explizit auf, die Erholung für eine ambitioniertere Haushaltskonsolidierung zu nutzen. Mindestens 0,75 Prozent weniger Neuverschuldung müssten 2012 und 2013 drinnen sein. Dafür müssten die Bundesländer und Gemeinden in die Pflicht genommen werden. Um von heuer 4,6 Prozent Defizit bis 2014 auf 2,4 Prozent und damit unter die drei Prozent laut Eurostabilitätspakt zu kommen, reichten auch 0,35 Prozent pro Jahr, hatte Wien gemeldet. Doch die Basis dafür berge "vor allem Abwärtsrisiken", heißt es im Kommissionsbericht. Einsparungsmaßnahmen auf Länderebene seien unklar, "Einsparungen von einigen Maßnahmen auf Bundesebene werden nicht eintreten." Als Beispiel führen die Experten Einnahmen aus einer Anti-Steuerbetrugskampagne an, "deren Auswirkungen hochspekulativ erscheinen."
Vor allem im Gesundheitswesen müssten die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern dringend entwirrt werden, urgiert die EU die wiederholt im Ansatz versandete Verwaltungsreform.
Österreich droht Rüge
Wie bei Bildung und Forschung seien Gesetzgebung, Verwaltung sowie die Verantwortung für Einnahmen und Ausgaben "komplex" auf zahlreiche Regierungsebenen aufgeteilt, was "ineffektiv" sei.
Auch das (effektive) Pensionsalter müsse endlich erhöht werden, forderte Sozialkommissar Laszlo Andor. 72 Prozent der Österreicher, die 2010 in Rente gingen, hatten das gesetzliche Pensionsalter nicht erreicht; jenes für Frauen sei mit 60 "relativ niedrig". Die Regierung müsse Maßnahmen ergreifen, "um das aktuelle Frühpensionsschema auslaufen zu lassen."
Besonders für niedrige und mittlere Einkommen schreibt die Kommission den Österreichern die Reduzierung der Steuer- und Abgabenlast ins Merkheft. Diese sei unter den höchsten der EU und trotz (oder wegen) der Steuerreform von 2009 gegenüber 2000 noch gestiegen. Zuguterletzt urgiert Brüssel die überfällige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie.
Verabschieden die Staats- und Regierungschefs das strenge Dokument der Kommission so ähnlich wie es ist, kann sich Österreichs Regierung nächstes Jahr auf Rügen einstellen. Denn viele Kritikpunkte der EU-Strategen sind lange bekannt. Und ebenso lange sind die Reformen in Österreich gescheitert.