Uni-Zugang, Rauchverbote und Kapitalverkehr. | Missverständnisse befeuern Eindruck von EU-Willkür. | Brüssel. Die EU mischt sich ständig in Sachen ein, die sie eigentlich gar nichts angehen. Das ist ein weit verbreitetes Vorurteil, das durch einige Missverständnisse, Ungeschicklichkeiten und gezielt geschürte Aufregung noch befeuert wird. Dabei ist die Optik aber weit schlechter als die Realität.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Denn viele Entscheidungen, die daheim als EU-Willkür wahrgenommen werden, entsprechen vollständig dem bestehenden EU-Recht und sind darüber hinaus von den Regierungen der Mitgliedsstaaten sowie dem EU-Parlament ausdrücklich befürwortet worden. Darunter fällt etwa das jüngst verordnete Auslaufen der herkömmlichen Glühbirne.
Grundsätzlich neigt die EU-Kommission allerdings dazu, ihre Kompetenzen durch allerlei Tricks ausweiten zu wollen; der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist ihr dabei immer wieder ein willfähriger Gehilfe. Dafür gibt es zahlreiche mehr oder weniger bekannte Beispiele wie das Ringen Österreichs um seine Uni-Quoten, den Versuch der Kommission, EU-weit Rauchverbote durchzubringen oder den Kampf um die österreichischen Investitionsschutzabkommen. In allen Fällen hat die EU keine Kompetenz. Bildung und Gesundheit sind und bleiben in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Doch die Brüsseler Beamten werden nicht müde, andere Wege zu finden, um Einfluss zu nehmen.
So pocht die Kommission in der Frage des Hochschulzugangs in Österreich auf das EU-Grundprinzip des Diskriminierungsverbots. Das sei ein beliebter Hebel der Brüsseler Strategen, berichten erfahrene Juristen. Damit lasse sich fast alles argumentieren. Im konkreten Fall stehe das Diskriminierungsverbot gegen die Beschränkung des Uni-Zugangs für Nicht-Österreicher, beharren die Offiziellen der Union.
Nach jahrelangem Rechtsstreit inklusive EuGH-Urteil gegen die Regierung in Wien konnte die Angelegenheit im Herbst 2007 nur mit einem politischen Deal für fünf Jahre auf Eis gelegt werden. Österreich macht dem Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso bei seinem Heimatgipfel zum Reformvertrag in Lissabon keine Probleme, dafür geht die Kommission vorläufig nicht mehr gegen die Uni-Quoten vor, lautete der Kern der Abmachung.
Hartnäckiger zeigt sich die Kommission bei ihren Bemühungen ums flächendeckende Rauchverbot. Dabei hat sie auch eine deutliche Mehrheit der Bürger im Rücken, wie Umfragen laufend belegen. Da Brüssel aber keine Kompetenz in Gesundheitsfragen hat, mischt sie sich über die Mindestsicherheitsstandards am Arbeitsplatz ein. Rauchverbote müssten sein, weil Kellner durch das Passivrauchen in ihrer Berufsausübung gefährdet seien, lautet das an sich nachvollziehbare Argument. Obwohl die EU bei ihren Bestrebungen für eine gemeinschaftsrechtliche Lösung stecken geblieben ist, hat sie de facto Erfolg. Die Welle der Rauchverbote in den Mitgliedsstaaten überrollt den formalen Prozess.
Neue Abkommen?
Weniger aufregend, aber umso ärgerlicher für Österreich ist dafür das jüngste EuGH-Urteil gegen wichtige zwischenstaatliche Investitionsschutzabkommen, für die die Kommission offenbar die Kompetenz an sich reißen will. Diese Abkommen regeln den österreichischen Kapitalverkehr mit Nicht-EU-Ländern wie Russland, China und der Türkei und müssen nach Lesart der Richter neu verhandelt werden.
Sie stammen aus der Zeit vor dem österreichischen EU-Beitritt und verstoßen nicht gegen EU-Recht. Sie könnten aber die unmittelbare Anwendung von in Zukunft geplanten Rechtsakten einschränken, urteilte der EuGH gemäß der Logik der Kommission. Die soll jetzt Vorschläge für die Lösung des Problems machen, finden die Luxemburger Richter. Bei der Neuverhandlung will sie wohl eine Rolle spielen; denn für Österreich alleine dürfte es mit Partnern wie Russland oder China nicht ganz einfach werden, so das Kalkül.
Jene vermeintlich willkürlichen EU-Vorstöße, die es häufiger in die Schlagzeilen schaffen, sind dagegen oft sinnvolle Projekte. Das geht vom sogenannten Glühbirnenverbot (siehe Artikel) über die berühmte Gurkenkrümmung bis zum jüngst aufgeflackerten angeblichen Verbot des Salzstangerls.
Anders als beim Ende der Glühbirne leisteten die Mitgliedsstaaten gegen die von der Kommission betriebene Aufhebung der vorgeschriebenen Gurkenkrümmung erheblichen Widerstand. Denn die genormten Gurken lassen sich weit effizienter schlichten, das spart kostspieligen Transportraum. War die Gurkenkrümmung immer das beliebteste Beispiel für die überbordende Regulierungswut, so wollte sie plötzlich keiner mehr hergeben. Erst nach zähen Verhandlungen konnte eine Mehrheit für die Aufgabe der Norm gefunden werden.
Ebenfalls missverständlich erschien die Causa "Salzstangerl". Im Sinne des Konsumentenschutzes sollte die irreführende Werbung für Backwaren mit einem gewissen Salzgehalt als "gesund" verboten werden. Das ist allerdings beim Salzstangerl schon heute nicht wirklich verbreitet und hätte daher wohl kaum Auswirkung auf dieses Symbol der österreichischen Backkultur gehabt. Wegen des verheerenden Medienechos stellte die Kommission ihr Vorhaben dennoch fürs erste zurück.
Erfolglos bei Gentech?
Eine Trendwende könnte sich indes beim österreichischen Leibthema Gentechnik abzeichnen: Hier steht langfristig eine Rückübertragung der Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten im Raum. Wegen der extrem sperrigen Entscheidungsmechanismen haben just die Gentechnik-freundlichen Niederländer vorgeschlagen, den Anbau von gentechnisch veränderten Feldfrüchten wie Mais oder Raps jedem EU-Land selbst zu überlassen. Hier musste die Kommission trotz ihrer recht weit gehenden Kompetenz ohnehin bereits mehrere herbe Niederlagen einstecken. Eine überwältigende Mehrheit der Mitgliedsstaaten hat ihre Initiativen gegen die Anbauverbote in Österreich wiederholt abgeschmettert.