Ungarische Universitäten werden in Vermögensverwaltungsstiftungen überführt - und damit der öffentlichen Kontrolle entzogen. Gleichzeitig sollen enorme Summen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der EU in die Hochschulen fließen.
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Krisen sind auch Chancen, und nur wenige Politiker in der EU vermögen diese derart energisch zu ergreifen wie Viktor Orbán. So blockierte Ungarns Premier gemeinsam mit seinem polnischen Amtskollegen in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg den Corona-Wiederaufbaufonds und den nächsten Budgetrahmen der Union. Ihnen passte nicht der Rechtsstaatsmechanismus, an den künftige EU-Förderungen geknüpft werden. Die Regierungen in Budapest und Warschau erzwangen eine Aufweichung des Modus, erst dann wurde der Wiederaufbaufonds bewilligt.
Nun sieht Orbán die Chance, dieses Multi-Milliarden-Euro-Instrument zu seinem Vorteil zu nutzen. Von den 672,5 Milliarden Euro, die im Herzstück des Plans für Darlehen und Zuschüsse zur Verfügung stehen, gehen 16,83 Milliarden Euro nach Ungarn. Laut einer Gruppe EU-Abgeordneter soll ein Fünftel davon in die Erneuerung der dortigen Universitäten fließen. Ungarns Premier versprach sogar vier Milliarden Euro - der vierfache Betrag, den die Universitäten in den vergangenen sieben Jahren erhalten haben.
Dass sich die Regierungspartei Fidesz der Hochschullandschaft annimmt, ist per se keine schlechte Idee. Es besteht großer Aufholbedarf, keine einzige ungarische Universität findet sich derzeit unter den ersten 500 im globalen QS World University Ranking. Wie die Nationalpopulisten in Budapest das Vorhaben angehen, wirft jedoch Fragen auf. Das Geld könne nur gut genutzt werden, wenn die Mittel effizienter eingesetzt würden, richtet Orbán aus. Also krempelt er die Strukturen völlig um. Mit der Zwei-Drittel-Mehrheit der Regierungsparteien wurde diese Woche ein Gesetz verabschiedet. Langer Name: "Über vermögensverwaltende Stiftungen im öffentlichen Interesse, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen". Einfacher Sinn: Elf Stiftungen werden damit zu Betreibern von staatlichen Hochschulinstitutionen. Die Budgets der Stiftungen werden von sogenannten Kuratorien verwaltet. Und die Regierung bestellt die Kuratoren.
Macht einzementiert
Formell gibt der Staat somit Macht aus der Hand. Fidesz zementiert diese aber dank Günstlingen und Getreuen Orbáns. Bis 1. August muss die Struktur stehen, das regierungsnahe Portal mandiner.hu veröffentlichte vor kurzem eine Liste voraussichtlicher Kuratoriumsmitglieder. Eine Analyse der "Wiener Zeitung" ergab, dass demnach in jedem Kuratorium Fidesz-Mitglieder vertreten sind, seien es Minister, Staatssekretäre oder Orbáns persönliche Beauftragte. So wird Finanzminister Mihály Varga für die Universität in Óbuda genannt. In Szeged gilt László Trocsányi als Kandidat, Abgeordneter im EU-Parlament und einst Justizminister unter Orbán. Oder in Pécs der Staatssekretär für Innovation, József Bódis. Aber auch mehr oder weniger Orbán-nahe Geschäftsleute sowie Fachleute, die auf den ersten Blick politisch nicht klar zuzuordnen sind, gelten als potenzielle Kuratoren. Kritiker Orbáns aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft finden sich auf der Liste jedoch nicht.
Mit der Konstruktion der Kuratorien wird Eigentum der Allgemeinheit zwar nicht privatisiert. Jedoch droht es, der öffentlichen Kontrolle entzogen zu werden. Der Rechtsrahmen beseitige jegliche Transparenz, wie EU-Mittel ausgegeben werden. Sämtliche Vermögen, welche den Stiftungen übertragen werden, verschwänden aus dem Einflussbereich des Rechnungshofs. Die Stiftungen erhalten nämlich auch den Gebäudeschatz der Universitäten und deren Landbesitz. Eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit sei nicht mehr gewährleistet, kritisiert die Princeton-Professorin Kim Lane Scheppele laut dem Blog "Hungarian Spectrum". Völlig offen ist zudem, inwieweit die Kuratorien in Lehrpläne eingreifen oder unliebsame Forscher aus der Universität drängen können.
Die Gewichte in Ungarns Hochschullandschaft verschieben sich bereits seit längerem hin zur Regierung. Fidesz zog eine Ebene zwischen den Präsidenten beziehungsweise Rektoren der Unis und dem zuständigen Ministerium ein, um das Finanzgebaren besser zu kontrollieren. Hochschulen verloren auch das Recht, die Leitung aus den eigenen Reihen zu wählen. Bereits 2019 startete an der Corvinus-Universität ein Testlauf für das Stiftungsmodell. In der Folgezeit wurden Hochschulen zum Übertritt gedrängt und mit Fördermitteln gelockt. Am lautesten war der Widerstand an der Universität für Theater und Film in Budapest, deren Studenten im vergangenen Jahr öffentlich aufbegehrten. Der Fall sorgte ebenso für internationale Schlagzeilen wie die Vertreibung der renommierten Central European University, weil diese mit Geld - und mit den liberalen Werten - von Orbáns Erzfeind George Soros gespeist war. Stattdessen soll in Budapest bis 2024 eine Außenstelle der chinesischen Fudan-Universität errichtet werden.
EU-Abgeordnete schlagen Alarm
Die Spitze von Ungarns Universitäten entwickelt sich dank der Kuratorien zur geschlossenen Gesellschaft. Denn die Mitglieder sind auf Lebenszeit gewählt, Neuzugänge werden innerhalb des Gremiums bestimmt. Um diese Struktur außer Kraft zu setzen, ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament notwendig. Im kommenden Jahr wählen die Ungarn, die Opposition scheint diesmal ihre Kräfte gegen Orbáns Fidesz zu bündeln. Doch selbst wenn die heterogene Allianz gewinnt, auf zwei Drittel der Abgeordneten wird sie kaum kommen. Orbáns Universitätslandschaft würde somit ihren Schöpfer überdauern.
Es geht also wohl auch um die Absicherung von Pfründen und Einflussbereichen. EU-Abgeordnete schlagen bereits Alarm bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie sehen Ungarns Schritt weder mit EU-Recht vereinbar, noch mit der Freiheit der Kunst und der Wissenschaft, die in der Grundrechtecharta der Union verankert ist.