Europäer üben sich in Schadens- begrenzung. | Unschärfen im Friedensplan bereiten Sorgen. | Die öffentlichen Aussagen waren in den letzten Tagen emotional hoch aufgeladen gewesen: Politiker diverser EU-Länder wie auch Russlands hatten engagiert und öffentlich das Thema eventueller Sanktionen wegen des Georgien-Kriegs diskutiert. Mit den ausgewogenen Gipfelbeschlüssen der EU-Staats- und Regierungschefs hat die Union aber den Weg in Richtung Schadensbegrenzung eingeschlagen.
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Offen bleiben jedoch die Konsequenzen des von beiden Seiten Mitte August scheinbar in unterschiedlichen Versionen unterzeichneten Sechs-Punkte-Friedensplans. Denn die Interpretationsunterschiede zwischen dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, seinem georgischen Gegenüber Michail Saakaschwili und der EU sind groß.
Auf den ersten Blick sind aber sowohl die USA und Georgien als auch Russland mit den EU-Beschlüssen zufrieden (siehe unten); sie enthalten für jeden etwas. Den USA gefällt, dass die territoriale Integrität Georgiens betont wird, die für Russland nicht mehr existiert. Tiflis wird Hilfe versprochen, und es wird nicht für seine unbedachten militärischen Aktionen in Südossetien gerügt.
Russland wiederum erhält zwar das eindeutige Signal, dass nur zu den Bedingungen der EU über ein neues Grundsatzabkommen weiterverhandelt wird. Jedoch werden die erst vor zwei Monaten gestarteten Gespräche nicht formell suspendiert.
Statt mit Drohgebärden wird den Russen also mit Diplomatie begegnet. Das sei ein "besonnener und verantwortungsbewusster" Ansatz, hieß es daraufhin wohlwollend aus Moskau. Die Kritik an der "überzogenen Reaktion" Russlands belege immerhin, dass es offensichtlich etwas gegeben haben müsse, auf das reagiert wurde.
Ob die Rechnung der EU aufgeht, könnte schon kommenden Montag klarer werden, wenn der französische Präsident und amtierende EU-Vorsitzende Nicolas Sarkozy die Positionen mit seinem russischen Kollegen Dmitri Medwedew bespricht. Die EU will die Umsetzung des Friedensplans in erster Linie am Rückzug der russischen Truppen auf ihre Vorkriegspositionen messen.
Nach Ansicht der Russen wurden aber bereits "alle zusätzlichen Truppen zurückgezogen", wie ihr EU-Botschafter Wladimir Tschischow sagte. Nur eine "kleine Abteilung" von 500 Mann halte noch Überwachungsposten in der Pufferzone südlich von Südossetien und in der Hafenstadt Poti.
Das sei aber, laut Moskau, unter dem Schlagwort "zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen" eindeutig vom Friedensplan gedeckt. Es handle sich um Friedenstruppen, die mit den OSZE-Beobachtern kooperieren würden, sobald diese einträfen. Die für Mitte September geplante nächste Verhandlungsrunde könne also stattfinden, "wenn die EU mit den Erklärungen des Truppenrückzugs zufrieden ist".
Westliche Diplomaten bezweifeln aber, dass es mit Erklärungen allein getan ist. Denn weder in Poti noch außerhalb Südossetiens standen vor dem Krieg russische Soldaten. Die Meldungen über deren Zahl sind zudem widersprüchlich.
Dennoch ist auch Russland - trotz seiner übertriebenen Machtdemonstration in Georgien - nicht an einer neuen Eiszeit gelegen. Sarkozys Besuch werde ein "wichtiges Element des politischen Dialogs", befand auch Tschischow.
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