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EU-Gipfel der Enttäuschungen

Von Gerhard Lechner

Politik

Treffen in Vilnius bleibt weit hinter ursprünglichen Erwartungen zurück.


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Kiew/Berlin. Wiktor Janukowitsch bleibt, jedenfalls für die Öffentlichkeit in Kiew, ein schwer einschätzbarer Politiker. Der ukrainische Präsident hat am Dienstagabend in einem Fernsehinterview über den Schwenk seiner Regierung Richtung Moskau und die Abkehr von Europa gesprochen. Sein Land, sagte der Mann aus dem prorussischen Donbass, sei wirtschaftlich noch nicht reif für eine Partnerschaft mit der EU. Die Ex-Sowjetrepublik könne das geplante Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union erst unterschreiben, wenn sie selbst stark sei. "Wann dies sein wird, bald oder nicht so bald, wird die Zeit weisen", fügte er hinzu. "Wenn wir einen Stand erreichen, der für uns vorteilhaft ist und unseren Interessen entspricht, dann werden wir über eine Unterschrift sprechen", sagte der Präsident. Derzeit lehne er diesen Schritt aber ab.

Skeptiker im EU-Lager in Kiew, das weiterhin auf die Straße geht, sehen darin eine klare Absage Janukowitschs, den Vertrag mit Brüssel auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft der EU am Freitag in Vilnius zu unterschreiben. Optimisten im Pro-EU-Lager sehen allerdings trotz dieser Aussagen des Präsidenten noch Hoffnung: Sie deuten Janukowitschs Worte und die seines Premiers Mykola Asarow, der sich über die mangelnde Unterstützung der Europäer für das in einer tiefen Wirtschaftskrise steckende Land beklagte, als eine Art Schrei nach weiteren Hilfen, und somit als versteckte Aufforderung an die EU, der Ukraine mehr Geld zu geben. Würde die EU in Vilnius dem extrem klammen Staat am Dnjepr zusätzliche finanzielle Anreize zusichern, so hoffen sie, könnte sich das Blatt in buchstäblich letzter Minute noch ändern - zumal die EU die Tür für die Ukraine nie ganz geschlossen habe. Präsident Janukowitsch könnte noch am heutigen Donnerstag, anlässlich des Abendessens, mit dem der Gipfel eröffnet wird, letzte Verhandlungen mit den EU-Entscheidungsträgern führen.

Wahrscheinlich erscheint ein solches Szenario derzeit aber nicht. Zwar erklärte EU-Regionalkommissar Johannes Hahn, die Tür für die Ukraine sei "zwar angelehnt, aber sie ist nicht zu". Und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel will die Ukraine weiter zur Unterschrift des 1200 Seiten starken Vertrags "einladen". Großes Verständnis für allfällige Nachbesserungen scheint man in Europa aber keines aufzubringen: Deutschland sieht keinen Anlass für Nachverhandlungen. Ein hoher Regierungsmitarbeiter in Berlin erklärte, das seit zwei Jahren ausverhandelte Abkommen sei "ausgehandelt" und liege "unterschriftsreif" auf dem Tisch. Außerdem drängt Berlin weiter auf eine rasche Freilassung von Julia Timoschenko. Dass der ukrainische Präsident sich im allerletzten Moment dazu entschließen könnte, glaubt aber kaum jemand mehr. Das bereits parafierte Assoziierungsabkommen mit der Ukraine dürfte in Vilnius nicht unterzeichnet werden - damit wird der Gipfel für die EU wohl zu einer Enttäuschung werden. Der Vertrag mit dem 45 Millionen Menschen zählenden, geopolitisch enorm wichtigen Staat galt als Kernstück der Östlichen Partnerschaft. Statt der Anbindung der Ukraine kann Brüssel in Vilnius wohl nur noch Abkommen mit Georgien und Moldawien, die eine Freihandelszone vorsehen, parafieren.

Zwist EU-Russland

Der Fall Ukraine lässt die Wogen zwischen der EU und Russland hochgehen: Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite warf dem Kreml Erpressung und "unzivilisierte Methoden" vor. Und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagte: "Wir sollten klar und deutlich sagen, dass der wirtschaftliche und politische Druck, den Russland gegenüber unseren östlichen Partnern ausgeübt hat, einfach inakzeptabel ist."