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EU-Gipfel im Bann der Pleite

Von Wolfgang Tucek aus Brüssel

Europaarchiv

Zittern um Sparpaket und Rettungskredite|Griechenland braucht 85 Milliarden mehr bis 2014


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Brüssel. Die Griechenland-Krise überschattet den gestern, Donnerstag, gestarteten EU-Gipfel. Die Rettung des schwächsten Eurolandes beschäftigte die Staats- und Regierungschef beim Abendessen. Am Ende stand eine gemeinsame Erklärung, welche den Griechen volle Unterstützung inklusive eines neuen Hilfspakets zusichert, wenn sie das mit EU-Kommission und Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte neue Sparpaket verabschieden.

Dabei ist der Ton recht aufmunternd gehalten, die bisherigen Leistungen des griechischen Premiers Giorgos Papandreou werden positiv herausgestrichen. Auch der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann würdigte seinen Kollegen aus Athen: Die notwendigen Änderungen in Griechenland durchzuführen seien ein "harter Job", den Papandreou zugesagt habe, zu erledigen, sagte er. "Daher hat er es nicht verdient, dass wir darüber nachdenken, was passiert wenn er es nicht schafft oder überhaupt alles apokalyptisch wird."

Sorgen bereitete den EU-Strategen jedoch der erbitterte Widerstand des griechischen Oppositionsführers Antonis Samaras von der konservativen Nea Dimokratia. Denn nur wenn das Programm nächste Woche vom griechischen Parlament genehmigt wird, erhält das Land die nächste Tranche Notkredite über 12 Milliarden Euro, die bis Mitte Juni dringend benötigt werden. Ansonsten könnte Griechenland fällige Schulden nicht zurückzahlen und wäre pleite. Das ist zumindest die Drohkulisse, die die Finanzminister der Eurozone für Athen aufgebaut haben.

Diese konnte der EU-Gipfel nur in etwas anderen Worten bekräftigen, weil die Union bis zur Abstimmung über neue Sparmaßnahmen im griechischen Parlament am 28. Juni in der Warteschleife hängt. Den Regierungs- und Parteichefs der Europäischen Volkspartei (EVP) blieb darüber hinaus bloß, ihren Kollegen Samaras mehr oder weniger sanft unter Druck zu setzen. "In so einer Situation müssen alle in einem Land zusammenstehen", mahnte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das habe in Irland und Portugal auch funktioniert. An die griechische Opposition sendete sie einen "Appell, ihrer historischen Verantwortung gerecht zu werden." "Die klare Erwartungshaltung ist, dass Griechenland mit allen politischen Kräften an einem Strang zieht", sagte der österreichische Außenminister und ÖVP-Chef Michael Spindelegger. Auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hätten Samaras gut zugeredet.

Theoretisch könnte Papandreou das Sparpaket über rund 28 Milliarden Euro, das in der Bevölkerung zu wütenden Protesten geführt hat, zwar auch mit den Stimmen seiner sozialdemokratischen Partei beschließen. Deren 155 der 300 Abgeordneten haben der umgebauten Regierung gerade erst durch die Vertrauensabstimmung geholfen. Doch muss die EU auf einer möglichst breiten Unterstützung für das Paket bestehen, damit der Sparkurs auch dann beibehalten wird, wenn Papandreous Team stürzen sollte. Für die EU ist das wichtig, weil sie ansonsten nur mit größten Schwierigkeiten ein neues Rettungspaket schnüren könnte, das wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) bei den Notkrediten an Bord bleibt. Denn die bisher vereinbarten Nothilfen über 110 Milliarden Euro reichen den Griechen nicht aus, sie werden bis Mitte 2014 noch einmal 85 Milliarden brauchen.

Davon müssen die Griechen wahrscheinlich 30 Milliarden Euro selbst durch Privatisierungen stemmen. Die übrigen 55 Milliarden Euro abzüglich eines noch nicht vorhersagbaren, weil freiwilligen Anteils von Privatgläubigern müssten  Eurorettungsschirm und IWF tragen. Immerhin haben am Donnerstag offenbar bereits die französische-belgische Bankengruppe Dexia, die französische Credite Agricole und italienische Geldhäuser ihre Bereitschaft zur Stundung von demnächst fälligen Forderungen an Griechenland bekundet. Das deutsche Finanzministerium verhandelt unter anderem mit Deutscher Bank und Allianz.

Frontex-Aufwertung

Abseits des Griechenland-Wirbels winkt der EU-Gipfel wie berichtet den Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien per Ende Juni durch. Erst in der Nacht auf Donnerstag haben sich Mitgliedstaaten und EU-Parlament auf eine Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex geeinigt, was die Staats- und Regierungschefs begrüßen werden. Frontex soll künftig auf einen Pool von Polizisten und Grenzbeamten zugreifen dürfen und nicht vor jedem Einsatz langwierig in den Hauptstädten anfragen müssen. Hubschrauber, Boote und technische Ausrüstung darf die Agentur bald selbst leasen und muss sich nicht mehr ausschließlich auf Gerät der Mitgliedstaaten verlassen. Die Grenzschützer heißen schließlich "European Border Guard Teams", dieser Name war der letzte strittige Punkt gewesen.