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Auch in der Flüchtlingsfrage zieht sich ein Riss durch die europäische Gesellschaft. Der ist etwa bei den vielen Freiwilligen zu sehen, die bei der Versorgung der vielen Menschen mithelfen. Während viele junge Menschen an der Trägheit der Politik verzweifeln und selbst Hand anlegen, raten ältere Menschen zur Vorsicht - und stehen Grenzschließungen offener gegenüber. Viele Pensionisten haben Sorge, dass die nächste Pensionserhöhung nicht kommen könnte und Flüchtlinge das Sozialsystem überstrapazieren. (Erstaunlicherweise fürchten sie sich nicht vor der Hypo, obwohl die ein Mehrfaches kostet.)
Die Regierung und deren dazugehörige Parteifunktionäre sind daher nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Kommunikation gefordert. Oder, wie es Wiens Bürgermeister Michael Häupl kürzlich formulierte: "Die Zukunft der Stadt entscheidet sich nicht in einer Fußgängerzone."
Diese Offenheit des Denkens muss allen abverlangt werden, auch wenn dies ohne Begeisterung erfolgt. Über Fakten ist nicht zu streiten, und Selbstbetrug hilft in solchen Situationen wenig. Viele junge Menschen wissen auch nicht, wie und wohin sich Europa durch die Flüchtlinge entwickeln wird - aber sie helfen.
Es wäre daher, auch wenn dies utopisch ist, durchaus angebracht, beim EU-Flüchtlingsgipfel die Hilfsorganisationen an den Tisch der Regierungschefs zu bitten. Noch hilfreicher wäre es, wenn EU-Ratspräsident Donald Tusk und so mancher Regierungschef einen Tag lang in Nickelsdorf Essen und Kleidung verteilen würden - damit sie wissen, worüber sie befinden.
Oder der Europäische Rat geht gleich nach Nickelsdorf oder in einen Bahnhof in Österreich oder Deutschland, damit diese Politiker jene, über deren Schicksal sie entscheiden, auch sehen können. Und auch jene, vor allem jungen Menschen, die erschöpfte Flüchtlinge trösten und mit dem Nötigsten versorgen.
Über Ungarns Premier Viktor Orban ist genug gesagt worden, es sind nun die europäischen Eliten in ihrem Brüsseler Elfenbeinturm, von denen die größte Gefahr für die EU ausgeht. Sie riskieren eine dauerhafte Spaltung der europäischen Gesellschaft, wenn sie nun nicht deutlich für Menschenrechte votieren. Was wäre gewonnen, wenn die Feigheit gewinnt? Die EU würde in eine Freihandelszone rückverwandelt, doch die Flüchtlinge wären da. Und die Jungen würden dafür eine saftige Rechnung bekommen.