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"EU hat andere Mittel und Wege"

Von Reinhard Göweil aus Brüssel

Politik

Assoziierungsabkommen für Ukraine steht nach wie vor bereit.


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Brüssel. "Ich halte die Ankündigung der staatlichen russischen Gazprom, der Ukraine den Rabatt beim Gaspreis zu streichen, für das falsche Signal. Das ist weder klug noch hilfreich", sagte EU-Kommissar Johannes Hahn in Brüssel zu Journalisten. Am Mittwoch beriet die Kommission, wie auf das russische Vorgehen auf der Halbinsel Krim reagiert werden soll, heute, Donnerstag, treffen sich die EU-Regierungschefs in Brüssel zum selben Thema. Dass Wladimir Putin eine militärische Annexion der Krim vorerst einmal ausgeschlossen hat, deutet Hahn als Einlenken der russischen Seite.

Zum Thema Sanktionen gegen Russland gibt sich Hahn skeptisch. "Ein Schuss auf der Krim kann einen Krieg auslösen, Europa hat so etwas schon erlebt. Die EU hat ‚nur‘ ihre ,Soft Power‘, und wir haben Mittel und Wege, Russland klarzumachen, dass dies keine Einbahnstraße ist." Und Hahn verweist darauf, dass Europa natürlich ein wesentlicher Markt für Russland ist. "Wir erwirtschaften 23 Prozent der Weltwirtschaftsleistung mit sieben Prozent der Bevölkerung. Natürlich sind alle an geordneten Beziehungen mit uns interessiert", sagte Hahn.

Ukrainer in Polen

Hinter den Kulissen bereitet sich die EU aber auch auf den Ernstfall vor. Mit der polnischen Regierung steht die Kommission in Kontakt, sollte es tatsächlich eine Flüchtlingswelle aus der Ukraine geben - davon ist derzeit aber nichts zu sehen. "In Polen arbeiten 400.000 Ukrainer, die wohl im Ernstfall ihren Freunden und Familien Wohnstatt bieten wollen", ist aus Kommissionskreisen zu hören.

Ein weiterer Punkt ist allerdings der drohende Staatsbankrott der Ukraine. In Brüssel wird den von Kiew kolportierten Zahlen aber wenig Vertrauen entgegen gebracht.

In den kommenden Tagen werden daher gleich zwei Teams aus Experten die ukrainische Hauptstadt besuchen. Die EU-Kommission wird mit dem Finanzministerium den tatsächlichen Finanzbedarf ermitteln, ein weiteres Team des Internationalen Währungsfonds wird mit der dortigen Nationalbank Ähnliches versuchen. "Das ist gut, dass beide unabhängig voneinander agieren", sagte Hahn. "Erst danach werden die beiden Ergebnisse verglichen." Derzeit werden Zahlen zwischen 15 und 35 Milliarden Euro kolportiert, die notwendig sind, um den Staatsbankrott abzuwenden. Ob allerdings tatsächlich 15 Milliarden für heuer und 35 Milliarden bis Ende 2015 aufzuwenden sind, um die Auslandsverschuldung zu bedienen, wissen die erst jüngst vom Maidan in höchste Ämter gespülten Regierungspolitiker selber nicht so genau.

Die Gazprom jedenfalls behauptet, dass die Ukraine beim Gaspreis Rechnungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro nicht bezahlt hat. Unklar ist, ob es sich dabei tatsächlich um offene Forderungen, oder um den heraus gerechneten Rabatt, der nun gekündigt wurde, handelt.

Auch wenn Hahn betont, dass "alles getan werden müsse, um die Nervosität zu senken", werden offenkundig doch diplomatische Sanktionen gegen Russland erwogen. Möglich wäre etwa, die laufenden Verhandlungen um die Visa-Freiheit für russische Bürger in die EU zu sistieren.

Natürlich wäre es auch denkbar, russische Auslandsguthaben im Westen einzufrieren - Hahn ist aber skeptisch. "Alle Seiten müssen deeskalieren, harte Sanktionen sind eigentlich das Gegenteil davon."

Der EU-Kommissar betonte auf Anfrage, dass die EU das bestehende Assoziierungsabkommen mit der Ukraine nach wie vor aufrecht erhält. Der gestürzte Präsident Wiktor Janukowitsch verweigerte diesem Abkommen Ende November 2013 die Unterschrift und wandte sich Russland zu - damit begann die Maidan-Bewegung in der Ukraine. Eine inhaltliche Änderung des Abkommens kann sich Hahn daher schwer vorstellen. "Es sitzen jetzt Leute in der Regierung, die für dieses Abkommen protestiert haben."

Als wahrscheinlich gilt, dass am Donnerstag beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs eine Kontaktgruppe ins Leben gerufen wird, die die Verbindung nach Moskau wieder in Gang bringen soll. Für den Ukraine-Konflikt selbst soll die OSZE Plattform sein, doch Europa braucht darüber hinaus auch diplomatische Kanäle, mit denen die abrupt zerstörte Beziehung zu Russland aufgebaut wird. Dem Vernehmen nach könnte es sich dabei erneut um das "Weimarer Dreieck" handeln, das sind die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen. "Diese Sub-Familie der EU wird auch nach den Europawahlen ihren Platz haben", glaubt Hahn.

Französische Rüstung

Und noch etwas wird vermutlich in den nächsten beiden Tagen heißt diskutiert. Französische Rüstungskonzerne bauen derzeit für Russland zwei Kriegsschiffe im Wert von 1,4 Milliarden Euro. Liefertermin ist Ende 2014. Trotz der Ukraine-Krise weigert sich Frankreich, diese Lieferungen zu stornieren. Sie wurden 2011 unter dem französischen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy von der russischen Marine bestellt - die derzeit im Schwarzen Meer die Muskeln spielen lässt.

Putin hat zwar im Moment eine militärische Annexion der Krim ausgeschlossen, von einem Rückzug aus der Halbinsel war aber nicht die Rede. Wenn Ende März die Mehrheit der Krim-Bewohner für den Anschluss an Russland stimmt, droht indes der nächste Konflikt. "Die EU kann das nicht so einfach achselzuckend anerkennen", ist aus Brüsseler Kommissionskreisen zu hören. "Das gilt ja auch in anderen Regionen wie Bosnien oder für die Katalanen. Es wird auf alle Fälle das Land, von dem sich eine Region abspaltet, gehört.

Und selbst wenn alles reibungslos über die Bühne ginge, die Abspaltung würde erneut Geld kosten - das die Ukraine nicht hat. Wie also ein Bankrott vermieden werden kann, ist eine Frage, die in Brüssel aktuell niemand beantworten kann.