Die Debatte um eine EU der zwei Geschwindigkeiten ist neu entflammt.
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Brüssel/Wien. Manche Hoffnung stirbt schon früher als zuletzt. Als nach jahrelangem Ringen der Lissabonner Vertrag in Kraft getreten war, hatten die meisten geglaubt, dass die Debatte um die EU-Institutionen, ihre Beziehungen und Funktionsmechanismen für mindestens zehn Jahre abgeschlossen ist. Denn das alles sollte das neue Vertragswerk regeln.
Aber es dauerte nicht einmal zwei Jahre, bis die Diskussion um die rechtliche Grundlage der EU wieder aufgeflammt ist. Und es geht dabei um mehr als die Zukunft der Eurozone, es geht wieder einmal auch um den politischen Einfluss einzelner Länder auf die Gestaltung Europas, um die Richtung und das Tempo der Entwicklung und wer diese bestimmen soll. Auf einmal ist wieder die Rede von einer EU der zwei Geschwindigkeiten, und waren früher die Diskrepanzen zwischen reicheren und ärmeren Ländern oder dem Westen und dem Osten damit gemeint, so ist es nun die Eurozone und jene Länder, die ihr nicht angehören.
So warnt EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso schon vor einer Teilung der EU. "Eine gespaltene Union würde nicht funktionieren", sagte er in einer "Europa-Rede" in Berlin. Europa stehe vor der Entscheidung, ob es weiter vorangehen oder zerfallen solle. Eine stärkere Integration in der Eurozone sei zwar wichtig, doch dürfe sie nicht auf Kosten der Nicht-Euro-Länder gehen.
Barroso bezifferte sogar die Kosten im Falle eines Auseinanderbrechens der Eurozone oder der EU. Das würde das Bruttoinlandsprodukt in der Europäischen Union in der Anfangsphase halbieren, erklärte der Kommissionspräsident und berief sich dabei auf eine Studie des Versicherungskonzerns Allianz. Demnach würde allein Deutschlands BIP um drei Prozent schrumpfen, und es würde eine Million Menschen den Job kosten, wenn die Eurozone auf eine Kern-Eurozone beschränkt würde.
Furcht vor Machtverlust
Mit diesen Sorgen steht Barroso in seiner Behörde nicht alleine da. Auch EU-Kommissar Maros Sefcovic, zuständig für interinstitutionelle Beziehungen und Verwaltung, sieht Gründe für Bedenken. Genährt werden sie etwa durch die neu entbrannte Debatte um eine EU der zwei Geschwindigkeiten oder den Ruf Deutschlands nach Vertragsänderungen, erklärte er bei einem Besuch in Wien.
Wie Barroso sähe es auch sein Stellvertreter Sefcovic gern, wenn bei der Euro-Rettung und bei der Kontrolle der nationalen Haushalte die Gemeinschaftsmethode angewandt würde, bei der die EU-Institutionen eine große Rolle spielen. Doch scheinen etliche Länder die "intergouvernmentale Methode" zu bevorzugen, bei der sich die einzelnen Regierungen untereinander die künftige Politik ausmachen.
Jedoch könnten die Bedenken der Kommission auch aus anderen Überlegungen resultieren: Wenn die Mitgliedstaaten der EU wieder verstärkt auf ihre Souveränität oder die Gültigkeit ihrer Absprachen untereinander pochen, kann die EU-Kommission weiter an Einfluss in der Union verlieren. Und der ist schon in den vergangenen Monaten und Wochen geringer geworden, weil die Staats- und Regierungschefs bei ihren Krisentreffen die Linie vorgegeben haben.
Doch müssten auch die Länder selbst merken, dass sie innerhalb der EU mehr miteinander verbunden sind, als so manchem lieb ist. Sechs Regierungen sind heuer bereits über die Euro-Krise gestürzt, deren Auswirkungen noch weiter gehen. Wie sehr die Europäische Union mittlerweile zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden ist, zeigt sich gerade an diesem Beispiel.