Van Rompuy reüssiert als Ratspräsident. | Schlechte Karten für Außenvertreterin Catherine Ashton. | Brüssel. Wochenlang kein Wort zur Abschiebung von Roma aus Frankreich, und auch bei seiner "Rede zur Lage der EU" am Dienstag wurden klare Aussagen von Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso vermisst. Er scheint ein so schwacher Kommissionschef zu sein, wie viele vor seiner Wahl befürchtet haben.
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Trotzdem sitzt Barroso heute fest im Sattel. Ob er diese komfortable Lage nützen kann, um sich an der EU-Spitze zu profilieren, ist aber noch offen. Vor einem Jahr war noch nicht einmal klar, ob er die Wiederwahl überhaupt schaffen würde. Der Lissabonner Vertrag war noch nicht in Kraft. Die EU hatte weder den inzwischen etablierten Ratspräsidenten Herman Van Rompuy noch eine institutionell aufgewertete "Hohe Repräsentantin für Sicherheits- und Außenpolitik" - der Einfachheit halber wird die Amtsinhaberin Catherine Ashton meist "EU-Außenministerin" genannt. Seither hat die Union eine beispiellos turbulente Zeit durchgemacht und ihre Arbeitsweise ziemliche ändern müssen. Dabei hat sich wenig überraschend herausgestellt, dass das neue Machtgefüge stark von den handelnden EU-Spitzenpolitikern abhängt.
Barroso hat sich bisher trotz seines Erfahrungsvorsprungs in den EU-Institutionen nicht wirklich durchsetzen können. Monatelang war von ihm kaum etwas zu hören, nachdem ihn Van Rompuy im März durch geschicktes Agieren im Hintergrund in die Schranken verwiesen hatte. Öffentlich geäußerte EU-Außenvertretungsansprüche des Portugiesen - etwa bei den G20 - waren am unverbindlichen Lächeln des Belgiers abgeprallt. Dem war die gemeinsame Rückendeckung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel freilich hilfreich.
"Präsident ist immer da"
Als auch angesichts des Kampfes gegen Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise immer mehr Fragen nach dem Verbleib des Kommissionspräsidenten in der Öffentlichkeit aufgetaucht waren, meinte ein Kommissionssprecher: "Der Präsident ist immer da, auch wenn man ihn nicht sehen kann."
Van Rompuy riss sich mit seiner hochrangigen Arbeitsgruppe ("Task-Force") der EU-Finanzminister inzwischen die Reform des Eurostabilitätspakts und die Neuordnung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Union unter den Nagel. Den Luxemburger Premier und Eurogruppenvorsitzenden Jean-Claude Juncker löste er de facto als Chef der Eurozone auf Ebene der Regierungschefs ab. Offenbar hat Van Rompuy vor, die Staats- und Regierungschefs auch ohne Krise zu so vielen EU-Gipfel einzuberufen wie nie zuvor. Erst jetzt könnte seine Task-Force langsam an Grenzen stoßen, weil die Kommission womöglich nicht mehr gewillt ist, ihre formellen Gesetzesvorschläge einfach entsprechend den Ideen der Finanzminister nachzureichen, wie das bis zum Sommer der Fall war.
Anwesenheitspflicht
Nicht die Schuld von Barroso ist, dass es im Parlament grobe Unstimmigkeiten über die Anwesenheitspflicht der Abgeordneten bei seiner Rede zu Lage der Union gab. Denn der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei der Ansprache um ein Zugeständnis des Portugiesen gegenüber dem EU-Parlament handelt. Sie sei ein Teil der im Frühjahr ausgehandelten Interinstitutionellen Vereinbarung, hieß es. Das ist jener Vertrag, in dem Kommission und das durch Lissabon deutlich aufgewertete Parlament ihre Zusammenarbeit für die laufende Legislaturperiode festlegen. Besonders eng werde sie sein, hatte Barroso letzten September für seine Wiederwahl versprechen müssen.
Just seine schärfsten Kritiker von damals haben jetzt angeblich die Strafzahlungen für Schwänzer der großen Rede durchsetzen wollen - Martin Schulz, Chef der Sozialdemokraten (S&D), und Grünen-Vorsitzender Daniel Cohn-Bendit.
Die beiden hatten zusammen mit den Liberalen die Wiederwahl des Portugiesen im Vorjahr ungewöhnlich mühsam gemacht. Schließlich hatten ihm die Staats- und Regierungschefs schon vor der Sommerpause 2009 ihre volle Unterstützung zugesagt. Doch Schulz wollte Barroso als schwachen und ungeeigneten Kandidaten mit einer enttäuschenden Bilanz verhindern. Die Grünen sahen in ihm einen Generalsekretär der Mitgliedsstaaten, einen Erfüllungsgehilfen statt eines Gestalters. Um die Mehrheit im Parlament damals sicherzustellen, hatte der Portugiese im August nachsitzen und - eine Premiere in der Geschichte der EU - ein umfassendes persönliches Fünf-Jahres-Programm als Voraussetzung für seine Kür ausarbeiten müssen. Allen Versprechungen zum Trotz wählten ihn die meisten Sozialdemokraten und Grünen am Ende nicht.
Dennoch konnte Barroso Mitte letzten Septembers eine überwältigende Mehrheit im Parlament einfahren. Als die Staats- und Regierungschefs die neuen EU-Spitzen dann offenbar aus taktischen Überlegungen scheinbar farblos besetzten, musste der Portugiese glauben, die Brüsseler Bühne im Wesentlichen für sich zu haben.
Britisches Leichtgewicht
Gekürt wurde im November nach politischer Farbenlehre und Stimmungslage der blass wirkende Christdemokrat Van Rompuy, damals Premier von Belgien, als Ratspräsident. EU-Außenministerin wurde die außenpolitisch völlig unerfahrene Labour-Politikern Ashton, davor Kurzzeit-Handelskommissarin und britische Gesundheitsstaatssekretärin. Doch nur die Britin erwies sich dauerhaft als politisches Leichtgewicht. Als sie zuletzt lieber bei der Weltausstellung in Shanghai blieb, anstatt zum Nahost-Treffen in Washington zu reisen, schienen auch europäische Parteikollegen ihre Hoffnung auf eine baldige Verbesserung von Ashtons außenpolitischen Gespür fahren zu lassen.
Mangels einer erneuten Wiederwahlmöglichkeit hätte Barroso gegenüber den Mitgliedsstaaten seit seinem zweiten Amtsantritt dennoch viel stärker auftreten können als zuvor. Doch dass er zuletzt davor zurückschreckte, Frankreich wegen der Massenabschiebungen von Roma öffentlich zu ermahnen, brachte ihm erneut herbe Kritik von Abgeordneten ein. Schulz honorierte nach seinem gestrigen Auftritt immerhin, dass Barroso mit einer eigenen EU-Einnahmequelle ein Thema angeschnitten habe, dem zwei Drittel der Mitgliedsländer ablehnend gegenüber stünden.