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Gemischte Gefühle begleiten die seit kurzem stattfindende Debatte über die Zukunft der Europäischen Union. Auf den ersten Blick ist es erfreulich, dass der im Dezember 2001 auf dem Gipfel von Laeken beschlossene Konvent, der am 28. Februar 2002 seine Arbeit aufnehmen wird, bereits seit einigen Wochen Gegenstand der Diskussion geworden ist und in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt ist. Leider konzentriert sich die Aufmerksamkeit jedoch noch nicht auf die Aufgaben und Ziele des Konvents, sondern vornehmlich auf die Bestellung einzelner Mitglieder oder auf die Gehaltsvorstellungen des Konventspräsidenten, die Frage seiner standesgemäßen Unterbringung und Ähnliches.
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Es bleibt zu hoffen, dass sich der Staub bald legen wird und der Blick auf das Wesentliche des Konvents frei wird - spannend genug ist diese neue Form der Vorbereitung einer Regierungskonferenz und damit einer Änderung der EU-Verträge auf jeden Fall.
Wie wäre es sonst zu erklären, dass bereits ein bis zwei Monate vor Aufnahme der Arbeiten wesentliche Akteure ihre Vorschläge publik gemacht haben? Zum Beispiel arbeitet der Generalsekretär des Rates an einem Papier über die Reform der EU-Präsidentschaft, das unter anderem eine Abkehr vom derzeitigen 6-Monate-Rhythmus hin zu einer zwei- bis dreijährigen Kopräsidentschaft mehrerer Mitgliedstaaten vorsieht. Ein anderes Beispiel sind Forderungen von Mitgliedern des Europäischen Parlaments, im Konvent eine wesentlich stärkere Rolle einzunehmen, als es bei seiner Einrichtung vorgesehen war. Besonders markant war der von der "Financial Times" kolportierte und von Tony Blairs Sprecher umgehend als nicht den Vorstellungen der britischen Regierung entsprechend bezeichnete Gedanke eines permanenten EU-Führungsgremiums, in dem Deutschland, Frankreich und Großbritannien vertreten sein sollen - ein Konzept das dem Geist der EU-Verträge, nach dem keinem Mitgliedstaat eine Vorrangstellung eingeräumt wird, diametral gegenüberstünde.
Worum konkret geht es nun beim Konvent? Nach dem Abschluss des unbestrittenermaßen wichtigen, für die Erweiterung aber nur die minimalen Voraussetzungen schaffenden Vertrags von Nizza, ist es nun dringend erforderlich Vorschläge zu erarbeiten, die eine Union von 25 oder mehr Mitgliedstaaten handlungsfähig erhalten.
Insbesondere ist zu entscheiden, auf welcher politischen Ebene - Region, Staat, Union - welche Aufgaben wahrgenommen werden. Dies klingt wenig spektakulär, kann jedoch an die Grundfesten der Union rühren. Einige Staaten haben ihr Interesse bekundet, jene Politiken, die ihrer Meinung nach zu viel Aufwand verursachen oder die sie gerne unabhängig gestalten würden, von der Gemeinschaftsebene auf die nationale Ebene zurückzuführen.
Kernbereiche der EU
Genannt wurden hier auch die Gemeinsame Agrarpolitik und die Strukturpolitik, mit insgesamt ca. drei Viertel des Budgets Kernbereiche der Europäischen Union. Jede dahingehende Überlegung wird berücksichtigen müssen, dass Gestaltung und Koordination auf EU-Ebene am besten geeignet sind, im Fall der Landwirtschaft eine kostengünstige und sichere Versorgung mit Lebensmitteln und eine volkswirtschaftlich sinnvolle Entwicklung des ländlichen Raumes zu gewährleisten bzw. sich im weltweiten Wettbewerb zu behaupten, und im Fall der Regionalpolitik einen sozialen Zusammenhalt über die Ländergrenzen hinweg zu fördern.
Die Instrumente der Union, also die Art und Weise, wie Politik gestaltet wird, in welchem Detailgrad die EU-weite Rechtssetzung erfolgen soll, wie viele verschiedene Verfahren benötigt werden, sind die zweite große Aufgabe des Konvents. Drittens, wie können demokratische Legitimität und Transparenz auf europäischer Ebene erhöht werden? Konkrete Fragen sind hier die Rolle des Rates, die öffentliche Zugänglichkeit seiner Sitzungen, das Verfahren zur Bestellung des Kommissionspräsidenten, ebenso der Wahlmodus der Parlamentarier. Last but not least hat der Konvent Vorschläge zu erarbeiten, ob eine neue Gestaltung der EU-Verträge möglich ist - d.h. ob sie einfacher an politische Entwicklungen angepasst werden können, und ob die letztes Jahr beschlossene Charta der Grundrechte Aufnahme in die Verträge finden soll.
Es geht also um eine gründliche und umfassende Klärung und Weiterentwicklung des gegenwärtigen Systems, nicht aber um die Schaffung eines völlig neuen. Die Gemeinschaftsmethode - das institutionelle Dreieck von Rat, Parlament und Kommission - hat durch seine differenzierte Machtbalance die großen Fortschritte der Union ermöglicht, z.B. die Vollendung des Binnenmarktes oder die Einführung des Euro. Nur sie gewährt eine Integrationsdynamik, die Berücksichtigung der Interessen der Mitgliedstaaten und die unabdingbare demokratische Legitimierung. Im Rahmen dieser Gemeinschaftsmethode wird der Konvent seine Vorstellungen erarbeiten. Stoßrichtungen sind unter anderem eine bessere Trennung der exekutiven und gesetzgebenden Funktionen des Rates, eine stärkere Konzentration der Kommission auf strategische Aufgaben bei einem Aufrechterhalten ihres Vorschlagsmonopols oder die Gliederung der EU-Verträge in zwei Teile. Der erste wäre ein Grundvertrag inklusive der Grundrechtecharta, der zweite enthielte die mehr technischen Bestimmungen, die ohne aufwendige Ratifikationsverfahren geändert werden könnten. Alles in allem können die Vorschläge des Konvents weit über das übliche Ausmaß von Reformen hinausgehen und die Politik der kommenden Jahrzehnte wesentlich beeinflussen. Anlass genug, dass neben den im Konvent vertretenen Mitgliedern und den Institutionen, die diese entsenden, auch die am Diskussionsprozess beteiligte Zivilgesellschaft die Chance zur Gestaltung der eigenen Zukunft ergreift und ihre Vorstellungen einbringt.