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EU-Konzepte auf den Kopf gestellt

Von Laura Wurm

Gastkommentare
Laura Wurm ist Studentin an der WU Wien. Für Ihre Master-Arbeit "EU economic response strategies to the Arab Spring in Tunisia and Egypt" wurde Sie mit dem Europäischen Nachbarschaftspreis des Zukunftsfonds der Republik Österreich ausgezeichnet.
© VYHNALEK.COM

Ein partizipativerer Demokratisierungsprozess ist gefragt, um den Ansprüchen des Arabischen Frühlings gerecht zu werden.


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Der Arabische Frühling, auch als "demokratisches Erwachen" bezeichnet, erweckte nicht nur Umbrüche in Nordafrika und im Nahen Osten, sondern sorgte auch international für Hoffnung auf ein Ende autoritärer Regime - einen Wandel hin zur Demokratie, den es seitens der EU zu fördern galt. Dafür wurde 2011 die EU-Nachbarschaftspolitik gegenüber den betroffenen Ländern überarbeitet: An oberster Stelle galt es, die Demokratie voranzutreiben. Eine "vertiefte Demokratie" solle von den Ländern etabliert werden, um die sogenannten "3 M" - "Money" im Sinne finanzieller Hilfsgelder sowie dem Zugang zu "Märkten" und "Mobilitätsprogrammen" - zu erhalten. Dies umfasste aber gleichzeitig die Forderung nach politischen Reformen, fairen Wahlen, Institutionsaufbau, Korruptionsbekämpfung, einer unabhängigen Justiz und der Förderung der Zivilgesellschaft.

Tunesien erfüllte diese Kriterien zeitgemäß, was dazu führte, dass ein Großteil der vorgesehenen Programme dem Land zugutekam. So erhielt Tunesien fast 44 Prozent der in der sogenannten Spring-Maßnahme zur Wachstumsförderung enthaltenen Gelder, während die übrigen 56 Prozent auf die anderen involvierten Länder (Ägypten, Jordanien und Marokko) aufgeteilt wurden. Viele Maßnahmen wurden explizit für benachteiligte Zonen Tunesiens geschaffen und eine Privilegierte Partnerschaft etabliert.

Diese sozialpolitische Komponente fehlte in Ägypten. Zwar wurden ähnliche Konditionen zum Erhalt von Förderprogrammen gestellt, deren Nicht-Erfüllung seitens Ägyptens wurde jedoch als Motiv dafür genommen, sich nicht weiter intensiviert um eine sozialpolitische Unterstützung zu bemühen. Wirtschaftlich betrachtet trägt Ägypten für die EU als Handelspartner eine größere Bedeutung als umgekehrt. Demnach fokussierte sich die EU auf die Stabilisierung wirtschaftlicher Beziehungen zu Ägypten und ließ Werte wie Demokratie und Menschenrechte immer mehr außer Acht. Schließlich hatte die EU mit Ländern wie Saudi-Arabien, Kuwait und den Emiraten zu konkurrieren, die Ägyptens Regierung als attraktivere Partner erschienen.

Der EU wird vorgeworfen, zu stark ihre Eigeninteressen verfolgt und die essenziellen Grundwerte für die Nachbarschaft hintenangestellt zu haben. Es bleibt ein Gefühl von Abhängigkeit gegenüber der EU bestehen. Proteste gegen Arbeitslosigkeit, erhöhte Lebenskosten und verschleierte Korruption nehmen kein Ende.

Es liegt an der EU, Mitbestimmung in der Errichtung demokratischer Strukturen zuzulassen, auch wenn dies bedeutet, nicht optimale Bedingungen für eine Zusammenarbeit in Kauf nehmen zu müssen. Demokratie impliziert ein Gemeinschaftswerk aller Involvierten - auch jener Akteure, die nicht mit dem Idealbild der EU übereinstimmen. Die Kernbotschaft des Arabischen Frühlings umfasst ein soziales Konzept von Demokratie - ein solches, das soziale Gerechtigkeit und Mitspracherechte fernab ideologischer Differenzen sichert. Es ist Aufgabe der EU, umfassendere sozialpolitische Kooperation auf allen Ebenen zuzulassen. Dafür gilt es allem voran bei der Zivilgesellschaft und ihren Rechten selbst anzusetzen.

Langfassung des Texts auf der Website der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.