EU-freundliche Politiker begeben sich zunehmend opportunistisch ins Fahrwasser von EU-kritischen Populisten.
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Sonja Puntscher Riekmann hat vor kurzem an dieser Stelle in ihrem klugen Kommentar zur Lage der EU unter anderem angeregt, "Europas Finalität" in einem gewählten Konvent zu klären, da die Bürger wissen wollen, wer mit welcher Legitimität worüber entscheidet und wohin sich die europäische Herrschaftsordnung entwickelt. Sie stößt allerdings mit diesem großen Wurf ein weiteres "Elitenprojekt" an, das unter den heutigen Rahmenbedingungen zum Scheitern verurteilt ist.
Die EU-freundlichen Parteien beziehungsweise Politiker sind in den meisten Mitgliedstaaten unter massivem Druck populistischer, EU-kritischer Gruppierungen, und sie begeben sich zunehmend opportunistisch in deren Fahrwasser. Dieser Druck kommt übrigens nicht nur von rechts. Dazu ein Zitat des österreichischen Gewerkschaftsbundpräsidenten Erich Foglar: "Wir müssen endlich den Kern des Übels einer neoliberalen EU-Integration beseitigen und die Vormachtstellung der vier Wirtschaftsfreiheiten brechen." Das Herzstück des bisherigen europäischen Integrationswerks wird also als Kern des Übels identifiziert!
Verschwenden wir daher keine Gedanken an eine Veränderung der Europäischen Verträge und einen Konvent, der wohl eher einem Schlachtfeld als einer Verfassungsversammlung gliche. Versuchen wir vielmehr, unter gegebenen institutionellen Möglichkeiten die europäischen und nationalen Politiken stärker auf die Erwartungen der Bürger auszurichten. Drei Themen scheinen prioritär und praktikabel:
Erstens eine engagierte Wachstums- und Beschäftigungspolitik. Damit ist nicht das Strohfeuer einer schuldenfinanzierten Nachfrageankurbelungspolitik gemeint, sondern eine massive Verlagerung öffentlicher Ausgaben zu Zukunftsinvestitionen, sprich intelligenten Infrastrukturen, Forschung und Entwicklung, Bildung und Qualifikation. Wie leichthändig werden auch hierzulande Klientelen bedient, wie mühsam gestaltet sich der Kampf um die Finanzierung der Universitäten und der Forschungsförderung, wie schleppend die Umsetzung der Bildungsreform. Neben dem Investitionsplan von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und wohl auch gemeinschaftlich finanzierten Infrastrukturprojekten bedürfte es noch eines umfassenden, zukunftsrelevanten, emotionalisierenden und eng mit der EU identifizierten europäischen Flaggschiffprojekts, etwa die Digitalisierung aller Lebensbereiche.
Zweitens der Bereich gemeinsame Außen-, Verteidigungs-, Sicherheits- und Flüchtlingspolitik: Die Bürger haben ein Recht auf innere und äußere Sicherheit und auf ihren europäischen, nationalen und regionalen Kulturkreis, ohne deswegen als tumbe Nationalisten verunglimpft zu werden. In diesen großen Themen muss die EU handlungsfähiger werden - und zwar realistischerweise durch Verträge auf Ebene der Regierungen.
Drittens muss sich die EU bei kleinen Themen zurücknehmen und auf Regulierungen verzichten, hinter denen oft Partikularinteressen stehen, und die die Bürger verärgern und die EU zum Gespött machen. Auch wenn es meist Nichtigkeiten sind: Sie beeinflussen massiv die Einstellungen gegenüber der EU.
All das wird nicht zum Erfolg führen, wenn die nationale Regierungspolitik ihr Doppelspiel fortsetzt und daheim Entscheidungen der EU heruntermacht, an denen sie maßgebend mitgewirkt hat.